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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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keine Rocker, Punks oder Modenarren, sondern ganz normale Jungs von etwa zwanzig. Aber Andreas war von einer trägen Eleganz und hatte eine prachtvolle Mähne, die ihm bis auf die Schultern fiel. Sie versuchte, die Farbe zu definieren. Wenn sie Karminrot mit gebranntem Siena und hellem Ocker mischte und einige elfenbeinweiße Reflexe hinzugab, konnte sie diesem Ton vielleicht nahekommen. Sie ging auf die beiden zu. Jetzt unterteilte sie sein Gesicht in Faktoren – auf Künstlerinnenweise, Stirn, Wangen, Augen, Wangenknochen – und erkannte, daß er nicht auf klassische Weise schön war. Die Augen saßen ein wenig zu tief in den Höhlen, die Nase war zu lang und schmal, und die Spitze reichte ein wenig zu weit in Richtung Mund. Der geringfügig zu klein war, aber gut geformt und ebenmäßig. Das vorspringende Kinn war schmal. Über der linken Augenbraue saß ein Muttermal, das bis in den Haaransatz hineinreichte. Alles zusammen machte einen starken Eindruck. Unmöglich zu übersehen. Er war schlank und langgliedrig und trotz seiner Jugend markant. Sie spielte mit der Vorstellung, wie er wohl nackt aussehen mochte. Jungen hatten etwas Besonderes, das verschwand, sobald sie zu Männern wurden; in dem Moment, in dem der Körper noch zögerte, ehe er den letzten Schritt zur erwachsenen Schwere vollzog. An dieser Schwelle befand er sich jetzt. Seine Haut schimmerte wie Sahne. Er war entweder Student oder hatte seinen ersten, schlecht bezahlten Job. Bestimmt brauchte er Geld. Für einen Moment kehrte sie ihm den Rücken. Starrte in ein beleuchtetes Schaufenster, auf ein Kleid, das sie sich nicht leisten konnte. Nein, sei ehrlich, das ist zu kurz für dich, Anna. Sie lachte über sich selbst und drehte sich wieder um. Wollte nicht mit ihm reden, solange der andere noch da war, aus Angst, ihn in Verlegenheit zu bringen. Also wartete sie geduldig. Früher oder später würde einer von ihnen doch die im Keller gelegene Toilette aufsuchen müssen. Während sie wartete, versetzte sie ihn in die Pose, von der sie glaubte, daß sie ihm angemessen sei. Dieser gleichgültige Gesichtsausdruck war auch eine Pose, ein Schutzmechanismus. Sein Kumpel durchschaute ihn nicht. Der sah jünger aus und vielleicht ein wenig dümmer. Außerdem sprang er jetzt auf und ging weg. Anna Fehn schlug sofort zu. Sie ging zu dem Jungen an den Tisch und beugte sich vor.
    »Ich bin Malerin und brauche immer Modelle. Wenn du dir ein paar Kronen verdienen möchtest, dann ruf diese Nummer an. Ich heiße Anna.«
    Sie reichte ihm eine Karte mit ihrem Namen und ihrer Telefonnummer. Er war nicht außer sich vor Verblüffung, schaute sie aber mit einer gewissen Neugier an. Und dann nahm er die Karte. Las die Nummer und ließ die Karte in einer Tasche seines weiten Hemdes verschwinden. Das Hemd war offen. Sie sah einen Streifen seiner schmalen Brust.
    »Der Ordnung halber«, fügte sie hinzu: »Ich rede von Aktmalerei.«
    Er nickte. Noch am selben Abend rief er von einer Zelle aus an. Sie stellte sich vor, daß er bei seinen Eltern wohnte und nicht gehört werden wollte. Am nächsten Abend stand er vor ihrer Tür. Er zog sich umstandslos aus, schaute aber mehrmals zu ihr hinüber. Demnach hatte er es noch nie gemacht. Sie erteilte ihm sachlich Anweisungen, gestattete sich aber ein wenig mütterliche Wärme. Gern hätte sie sich sehr viel mehr gestattet, aber sie war doch alt genug, um seine Mutter zu sein, um Himmels willen! Am ersten Abend machte sie nur eine flüchtige Skizze. Überzeugte sich davon, daß er über längere Zeit und ohne Probleme in dieser Stellung verharren konnte. Dann zog er sich an und ging. Und von da an kam er jede Woche zur selben Zeit. Sie lernten einander nicht wirklich kennen. Andreas sprach nie über sich und wollte nichts über sie wissen. Er hatte keine Pläne oder Wünsche für die Zukunft. Ab und zu erzählte er von seinem Kumpel Zipp. Oder, seltener, von einem Film, der ihm gefiel. Oder vielleicht von Musik. Das war alles. Der Impuls kam plötzlich. Sie war nicht darauf vorbereitet, hatte es nicht geplant. Hatte vielleicht davon geträumt, wer hätte das nicht? Eines Abends fiel er plötzlich aus der Rolle. Er posierte nicht mehr. Sein Blick verlor sich in einem der großen Bilder an der Wand. Etwas hemmte die Geschmeidigkeit seines Körpers. Sie wollte ihn darauf aufmerksam machen, überlegte es sich aber anders. Lange konnte sie ihn betrachten, ohne daß er es merkte. Den Pinsel in der Hand, stand sie da und hielt den Atem an.

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