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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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ist mit den alten Schachteln, mit denen du dich rumtreibst? Was sagt das Band bei denen?«
    Andreas trank einen kleinen Schluck.
    »›Ich mag dich, ich mag dich.‹ Das ist der Unterschied.«
    Sie schlürften das eiskalte Bier. Sie hatten das Kind vergessen, und das hatten sie ja gewollt. Später saßen sie bei Zipp im Kellerzimmer und sahen sich »Bladerunner« an. Andreas war hin und weg. Zipp dachte an das Mädchen mit dem hautengen Pullover.
    »Dieser Typ, der Papierfiguren faltet«, sagte Zipp und nickte zum Bildschirm hinüber, »das ist einer von den Schurken, oder?«
    Andreas stöhnte. »Hast du nicht gesagt, daß du alles noch weißt?«
    »Jetzt fällt es mir wieder ein. Die künstlichen Menschen. Die nur vier Jahre leben.«
    »Richtig, Zipp. Genieß die dir zugemessene Zeit.« Andreas riß eine Ecke von einer Illustrierten, die auf dem Tisch lag. »Ich kann dir eine feine Latte falten.« Er beugte sich zum Bildschirm vor. »Jetzt bestellt er einen Tsin Chao. Verdammt, das ist saugeil. Salome und die Schlange.«
    »Das hab ich schon mal gesehen«, sagte Zipp sauer.
    »Aber wie sie stirbt!« rief Andreas. »Einfach toll. Wie sie durch das Glas segelt.«
    »Das heißt Zeitlupe. Ist nicht gerade was Neues.«
    »Du kapierst das nicht«, sagte Andreas heftig. »Sieh sie dir an! Sie trägt nur einen durchsichtigen Regenmantel. Und das Blut hinter dem Kunststoff, wenn die Kugeln treffen, das ist genial. Salomes Tod ist einfach prachtvoll. Und er ist gut!« fügte er hinzu. »›Can the maker repair what he makes?‹« Er schaute Zipp an. »Einem Mann mit den bloßen Daumen die Augäpfel in den Kopf pressen, würdest du das schaffen?«
    Zipp glaubte das nicht. Ihm ging durch den Kopf, daß Andreas vermutlich nur ein künstlicher Mensch war. Der nur beim Anblick von seinesgleichen auflebte. Einer mit implantierten Erinnerungen und einer eingebauten Gefühlsreaktion, wie Roy Batty. Und mit avanciertem Design von der Tyrell Corporation. »Kampmodell Nexus 6.« Bald würde er den rückführenden Zellen zum Opfer fallen. Und beim Nachspann noch die Musik von Vangelis hören. Während Zipp kurz vor dem Wegknacken war.
    »Wake up«, sagte Andreas und schlug ihm auf die Schulter. »It’s time to die!«

 
    I ch will meine Ruhe haben. Der Preis dafür ist, daß ich nicht zähle, nicht gesehen, nicht wichtig genommen werde. In meinem braunen Mantel werde ich nicht ernst genommen. Das andere, was jetzt dazukommt – wenn die Leute das wüßten, was Gott verhüten möge, aber das Schlimmste von allem…
    Ich bin gesund, sagt der Arzt, mir fehlt nichts. Eine Pferdenatur. Dieses Tier verfolgt mich. Ich bin gut zu Fuß, beweglich, wenn auch kräftig gebaut. Manche würden mich als mollig bezeichnen, aber auf jeden Fall habe ich Formen. Ich bin nicht groß, was mir nur recht ist; Frauen sollten klein sein. Die anderen sind ganz anders als ich, das ist wirklich seltsam. Ich bin praktisch unsichtbar, niemand bemerkt mich. Die Leute weichen automatisch aus, wenn wir auf der Straße aufeinander zugehen. Aber sie sehen nicht, wem sie ausweichen, ich bin nur ein Schatten in ihrem Augenwinkel. Das stürzt mich nicht in Verzweiflung, ich fühle mich ja auch so. Doch, ich habe einen Sohn, Ingemar. Als er klein war, habe ich ihn auf dem Arm getragen, habe ihn gewiegt und gestreichelt. Wunderte mich über das, was mir da zuteil geworden war. Daß er von mir abhängig war, daß er würde sterben müssen, wenn ich ihn seinem Schicksal überließe. Damals blühte Irma auf. Ein anderer Mensch brauchte sie dringend. Sie bedeutete Leben oder Tod. Aber das war nicht von Dauer. Nichts ist von Dauer. Er wuchs heran, wuchs an mir vorbei und sprach von oben herab. Und dann zog er aus. So geht es. Ich bin unsichtbar, so schrecklich durchschnittlich, so entsetzlich anders. Einige wenige Menschen kenne ich; ich kenne sie besser, als sie mich kennen. Sie glauben, mich zu kennen, aber da irren sie sich. Sie irren sich in jeglicher Hinsicht.
    Die Zeitungen brachten die Suchmeldung nach Andreas erst nach einigen Tagen. Seine Kolleginnen haben sich positiv über ihn geäußert, das ist ja immer der Fall. Niemand will später in Verdacht kommen, wenn jemand tot aufgefunden wird. Das Wort hängt zwischen den Zeitungszeilen wie eine giftige Bakterie. Niemand wagt, es auszusprechen; es könnte ja Wirklichkeit werden. Ob sie glauben, daß er Selbstmord begangen hat? Nein, nein, um Himmels willen, Andreas doch nicht! Er schlendert durchs Leben. Er würde niemals

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