Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
erhob sich auf die Hinterbeine und preßte ihn an die Wand. Danach war er von oben bis unten naß. Also mußte er auf jeden Fall duschen. Der Hund trottete ins Wohnzimmer. Sara rief hallo.
Und dann fiel ihm der Geruch auf. Er blieb für einen Moment stehen und nahm ihn in sich auf. Registrierte weitere Gerüche, Muskat und geschmolzenen Käse. Frisch gebakkenes Weißbrot. Es roch auch noch nach dem Hund, der ihn abgeschleckt hatte. Aber dieses andere! Dieser fremde Duft, der aus dem Wohnzimmer kam. Er ging einige Schritte, schaute in die Küche. Da war sie nicht. Er ging weiter, der Geruch wurde intensiver. Etwas stimmte nicht. Er blieb stehen. Sie saß auf dem Sofa und hatte die Beine auf den Tisch gelegt. Leise Musik lief. Billie Holiday. »God Bless the Child«. Sie hatte sich die Lippen geschminkt und trug ein grünes Kleid. Ihre Haare glänzten hell, und er dachte: Sie ist hübsch, das ist es nicht. Er starrte sie an.
»Was ist los?« fragte sie leise und klang nicht im geringsten besorgt.
»Was machst du?« stammelte er.
»Mich entspannen.«
Sie strahlte ihn an. »Das Essen ist fertig. Jacob hat angerufen, er kann jeden Moment hier sein.«
Es riecht nach Hasch, dachte Sejer. In meinem Wohnzimmer. Ich kenne den Geruch, der ist unverwechselbar, ich kann mich nicht irren. Er verstummte ganz einfach. War eine stumme Kreatur, ein Fisch an Land. Der Geruch hüllte das ganze Wohnzimmer ein. Er starrte die Balkontür an, lief hinüber und riß sie auf. Er war fassungslos.
»Konrad«, sagte sie, »du siehst so seltsam aus.«
Er drehte sich langsam um. »Äh, nein. Mir ist nur etwas eingefallen.« Seine Stimme klang nicht so fest, wie sie sollte. Er versuchte nachzudenken. Jacob konnte jeden Moment kommen. Jacob würde glauben, daß das mit seinem Einverständnis lief, aber so war es doch nicht. Was zum Teufel sollte er tun? Sie ist Psychiaterin, dachte er, sie arbeitet mit sehr kranken Menschen, viele davon sind gerade durch Drogen zerstört worden, durch Heroin und Ecstacy – und sie sitzt hier und hat einen Rausch, auf meinem Sofa. Ich dachte, ich kenne sie. Nein, nicht wirklich, aber trotzdem. Ausgerechnet das! Sejer runzelte die Stirn, und zwar heftiger denn je.
Plötzlich sprang sie auf. Legte ihm die Hände auf die Brust und erhob sich auf Zehenspitzen. Er war noch immer viel größer als sie.
»Du siehst so ängstlich aus. Hab keine Angst, bitte.«
Das einzige, was er jetzt wahrnahm, war Karamelgeruch. Von ihrem Lippenstift. Er schluckte rasch, und aus seiner Kehle war ein leises Klicken zu hören.
Warum werde ich in den Armen dieser Frau zu einem Kind, fragte er sich. Und sagte mit brüchiger Stimme: »Hier riecht es so seltsam.«
Sie lachte vielsagend. »Mir ist eine ganze Muskatnuß ins Moussaka gefallen, und ich kann sie nicht wiederfinden.«
Er starrte auf seine Füße hinunter. Zum Duschen war keine Zeit mehr. Jeden Moment würde Jacob vor der Tür stehen. Frische Septemberluft strömte herein. Billie Holiday sang. Er wußte nicht, ob der Geruch noch im Raum hing, es wurde langsam kühl. Norwegisches Gesetz, dachte er. Dem norwegischen Gesetz zufolge. Das hörte sich lächerlich an. Alles konnte er zu ihr sagen, aber das nicht. Plötzlich ging ihm auf, daß diese Frau ihre eigenen Gesetze hatte. Und daß sie trotzdem über eine höhere Moral verfügte als irgendein anderer Mensch, den er kannte. Er kam sich vor wie ein Schuljunge. Dachte, daß er vieles nicht wußte. Vieles nie ausprobiert hatte. Er war neugierig auf Menschen, wollte wissen, wer sie waren und wie sie waren und warum sie so waren. Er wollte verstehen und urteilte nicht leichtfertig. Aber jetzt merkte er, daß etwas in ihm ins Wanken geriet. Und dann ging die Türklingel. Sara ging öffnen. Jacob war klug, er war durchaus kein Schuljunge, er sah nur so aus. War der Geruch noch da? Sejers Blick blieb an Elises Bild an der Wand hängen. Sie lächelte ihn an. Sie hatte keine Sorgen. Für einen Moment verschwand sie, war mehr tot für ihn als sonst. Es fiel ihm schwerer, sie zu sich zu holen, ihre Stimme, ihr Lachen. Eine neue Trauer; es war, als verschwinde sie auf andere Weise. Und das nahm nie ein Ende. Er ging hinaus auf den Balkon. Er mochte die schneidende Herbstluft und die klaren Farben. Mochte sie lieber als den Sommer. Er atmete mehrere Male tief durch. Dachte, daß er häufiger trainieren mußte, daß er schließlich nicht jünger wurde. Immerhin war von seinem Leben noch allerlei übrig. Matteus würde schwarz in einer
Weitere Kostenlose Bücher