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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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aus, stemmte die Füße gegen den Boden, um Halt zu finden, und schluchzte vor Verzweiflung. Endlich war sie oben, schweißnaß, mit schmerzenden Armen. Sie legte das Kind in den Wagen und deckte es zu. Ein Rad hing schief; es war schwer, den Wagen zu manövrieren. Zum Glück hatte sie die Schlüssel in der Manteltasche. Zu Hause angekommen, nahm sie die Tragetasche vom Wagenunterteil, stellte sie auf die Autorückbank, zurrte sie mit dem Sicherheitsgurt fest und fuhr zum Krankenhaus. Sie verfluchte die beiden, die sie überfallen hatten. Haß und Wut jagten wie Feuerzungen durch ihren Körper. Denen sollte das Allerschlimmste passieren! Sie sollten auf dem Weg in die Stadt einen Unfall bauen, den Verstand verlieren, querschnittsgelähmt bleiben.
    Der Junge schlief. Tief und fest. Aber er hatte dieses Zeichen auf dem Kopf. Diese winzige Schramme. Für die Fahrt in die Innenstadt brauchte sie elf Minuten. Sie hob den Kleinen aus der Tasche und betrat die Notaufnahme.
    Der Arzt untersuchte die kleine Wunde. Zog das Kind fast vollständig aus. Leuchtete mit einer Lampe in seine dunkelblauen Augen. Das Kind sabberte und fuchtelte mit den Armen.
    »Er ist offenbar unversehrt«, sagte der Arzt. »Den Taschendiebstahl müssen Sie anzeigen.«
    »Nein«, sagte sie müde. »Das einzig Wichtige ist der Kleine.«
    »Wie heißt er?«
    Sie lächelte verlegen. »Er hat noch keinen Namen. Wir werden den Tag feiern, an dem ich einen Namen finde. Keiner ist gut genug«, sagte sie stolz.
    Der Arzt schrieb die Rechnung aus, eine fast symbolische Handlung, da ihr ja ihr Geld gestohlen worden war. Vierzig Kronen.
    Dann fuhr sie nach Hause. Stillte den Kleinen lange. Blieb an seinem Bettchen sitzen und brachte es nicht über sich, ihn zu verlassen. Schließlich überlegte sie sich die Sache anders und trug ihn in ihr eigenes Bett. Zog die Decke über sie beide. Knipste das Licht aus. Versuchte, sich zu beruhigen, was ihr jedoch nicht gelang. Sie glaubte nicht an Gott, sie war aus der Kirche ausgetreten. Aber nun, in der Dunkelheit, geborgen unter der Decke, erahnte sie die Konturen einer Vorsehung. Das überwältigte sie. Daß sie doch etwas bedeuteten, sie und der Kleine, über das hinaus, was sie im Sinn hatte, wenn sie über ihr Dasein nachdachte. Etwas behielt sie im Auge, während sie hier zusammen lagen. Sie fühlte sich beobachtet. Und irgendwann, das war ein anderer Gedanke, würde sie die Zeit verlassen müssen. Oder der Junge. Ganz plötzlich konnte das passieren. Sie legte ihm eine Hand auf den Kopf. Der Kopf paßte perfekt in ihre Handfläche. Der Junge bewegte sich nicht. Er schlief so tief.
     
    Zipp und Andreas vertranken derweil das Geld der Frau. Zipp hing über seinem Glas wie ein Greis, das alles war zuviel für ihn gewesen. Andreas wippte auf seinem Stuhl, wie zu einer stillen Demonstration. Wer das Kind zuerst erwähnte, würde den Abend ruinieren. Mit diesem ekelhaften Ereignis, das unerwartet über sie hereingebrochen war.
    Sie hatten mit einem kurzen, sauberen Einsatz von wenigen Sekunden gerechnet. Wutsch! Vierhundert Kronen. Nichts passiert.
    Andreas betrachtete den Ventilator unter der Decke. Der drehte sich langsam und erinnerte ihn an einen Film, der ihm gefiel. Sie tranken weiter, warteten geduldig darauf, daß der Rausch sich wie ein kühler Lappen über ihre Stirn legte. Je mehr Zeit verging, desto besser machte sich das Leben; die Mädchen wurden hübscher, die Zukunft lichter. Zipp wischte sich den Schaum von der Oberlippe. Und dann verlor er die Sache aus dem Griff.
    »Was meinst du, wie es dem Kind geht?«
    Andreas stieß einen erwachsenen, müden Seufzer aus. Lautlos stellte er sein Glas auf den Tisch.
    »Säuglinge sind weich wie Gummi. Denen ist der Kopf noch nicht zusammengewachsen, der ist geradezu elastisch.« Er schaute in Zipps verängstigte Augen. »Er besteht nämlich aus weichen Platten, die sich nach und nach übereinanderschieben. Raffiniert, nicht?«
    »Du erzählst Scheiß!«
    Zipp verdrehte die Augen. Andreas hatte immer eine Antwort, schüttelte aber auch hemmungslos Lügen aus dem Ärmel. Andererseits hatte er genau das gewollt. Um jeden Preis eine Antwort. Die Alte mit dem Kinderwagen, das war eine schlechte Entscheidung gewesen. Das Bier schmeckte wie immer, das war nicht das Problem. Aber das Kind, Scheiße, so ein kleines Bündel. Er lehnte sich gegen die Tischkante in dem Versuch, sein Herz zu beruhigen. Er sah die Szene noch immer vor sich. Dieses lächerliche blaue Gefährt auf

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