Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
begriffen, daß er anders war, daß von ihm anderes erwartet wurde. Daß es besser war, wenn er nicht auffiel und nicht zuviel Lärm machte.
»Ich will wissen, was sie gemacht haben«, sagte seine Mutter noch einmal.
»Ingrid«, erwiderte der Großvater. »Wenn er das nicht erzählen will, dann muß er es für sich behalten dürfen.«
Matteus räusperte sich. »Die wollten den Weg zur Bowlinghalle wissen. Dabei kannten sie ihn schon. Dann sind sie noch einmal zurückgekommen. Sie haben nichts gemacht.«
Er hob die Gummibärchentüte, die er die ganze Zeit fest in der Hand gehalten hatte, an seine Nase und schnupperte daran. Es roch nach alten Socken, Geleeschlangen und Schaumkissen.
»Tut mir leid«, sagte die Mutter leise. »Ich mache mir einfach solche Sorgen.«
Hauptkommissar Konrad Sejer hob seinen Enkel hoch und nahm ihn auf den Schoß. Er steckte die Nase in die Locken des Kleinen und dachte an die Zukunft. Gab sich die allergrößte Mühe, die vagen Bilder zu deuten, die er in weiter Ferne sah.
»Die fanden meine Jacke toll.« Matteus grinste.
»Das, was da drinsteckt, ist noch viel toller«, sagte Sejer. »Bring mich zur Tür. Ich muß nach Hause.«
»Das mußt du nicht. Kollberg ist nicht allein, das weiß ich.«
»Ich will nach Hause zu Sara.«
»Wohnt die jetzt bei dir? Und wo soll ich dann schlafen, wenn ich dich besuche?«
»Sie wohnt nicht bei mir. Sie wohnt bei ihrem Vater. Der ist nämlich krank. Aber sie besucht mich, und manchmal übernachtet sie bei mir. Sollte sie gerade da sein, wenn du mich besuchst, dann mußt du auf dem Boden schlafen. Ganz allein. Auf einer Schaumgummimatratze.«
Matteus riß erschrocken die Augen auf. Er blieb stehen und spielte mit der Hand seines Großvaters. Ingrid mußte sich abwenden, um ihr Grinsen zu verbergen.
»Sie ist doch nicht so dick, daß wir nicht alle drei Platz hätten, oder?« fragte Matteus hoffnungsvoll.
»Nein«, sagte Sejer, »dick ist sie nicht.«
Er streichelte seiner Tochter ein wenig unbeholfen den Arm und trat dann in den Hof hinaus. Winkte Matteus zu, der in der offenen Tür stand. Fuhr langsam heimwärts. Später würde er sich daran erinnern, an die wenigen Minuten, die er brauchte, um vom Haus seiner Tochter zu seinem Block zu fahren. Sein Leben war so geordnet gewesen, so vorhersagbar. Einsam vielleicht, aber er hatte ja den Hund. Einen Leonberger von siebzig Kilo und ohne jegliche Erziehung. Eigentlich fand er das beschämend. Auch Sara hatte einen Hund. Eine wohlerzogene Schäferhündin. Überraschungen mochte Sejer nicht. Er war daran gewöhnt, alles im Griff zu haben, immer. Er hatte fast alles. Ansehen, Respekt. Und nach vielen Jahren als Witwer hatte er Sara. Das Leben war nicht mehr vorhersagbar. Jetzt wartete sie auf ihn. Sie hatten Jacob Skarre zum Essen eingeladen, einen jüngeren Kollegen, den Sejer mochte, den er auf seltsame Weise als Freund betrachtete, obwohl er sein Vater hätte sein können. Aber gerade das gefiel ihm. Daß er mit einem so jungen Mann befreundet sein konnte. Und er mußte zugeben, es tat gut, jemanden zu haben, der zuhörte, der noch etwas zu lernen hatte. Er hatte nie einen Sohn gehabt. So. Jetzt hatte er auch diesen Gedanken einmal formuliert.
Vor einer Ampel bremste er sanft. Sara steht in der Küche. Sie hat sich schön gemacht, aber nur ein bißchen. Hat ein Kleid angezogen, dachte er. Hat ihren langen, blonden Pony gebürstet. Sie macht sich keinen Streß. Ihre Bewegungen sind langsam und weich, so, wie ich den Wagen durch die Stadt lenke. Ihr Nacken. Ihm lief ein Schauer über den Rükken. Die kurzen blonden Haare auf der glatten Haut. Die breiten Schultern. Er schaute auf die Uhr. Sie wartete schon, und Jacob kann jeden Moment dasein. Das Essen ist fertig, und auch wenn es nicht fertig ist, wird sie nicht nervös. Sie ist etwas ganz Besonderes. Sie hat alles im Griff. Sie gehört mir. Er summte ein Stück von Dani Klein. »Don’t Break my Heart«. Und dann schaute er in den Spiegel. Erschrak, als er sah, wie grau er geworden war. Sara war so blond und glatt. Aber gut. Ich bin ein erwachsener Mann. Dachte Konrad Sejer und fuhr vor den Garagen vor. Er ging zu Fuß nach oben, obwohl er im zwölften Stock wohnte. Er wollte in Form bleiben; vielleicht war ja sogar noch Zeit für eine Dusche. Ohne aus der Puste zu kommen, lief er nach oben. Als er auf die Türklinke drückte, hörte er den Hund, der ihm entgegenkam. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit und stieß einen Pfiff aus. Das Tier
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