Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
aus. Zipp las Männerzeitschriften, und darin stand, daß die Sexualtriebe die Menschen durch das Leben lenken, ihre Berufswahl beeinflussen, steuern, welche Autos sie kaufen, was ihnen ganz allgemein gefällt. Also mußte Andreas’ Liebe zu Jungen bei allem eine Rolle spielen, auch bei ihm, Zipp. Andreas hatte ihn zum Freund haben wollen. Oft hatte er sich darüber gewundert. Ob Andreas schon seit der Grundschule Lust auf ihn hatte? Hatte er womöglich nie die Hoffnung aufgegeben, ihn irgendwann noch mal auf den Bauch drehen zu können? O verdammt, auf den Bauch, allein die Vorstellung! Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Und gleichzeitig sah er wieder alles vor sich. Die leuchtenden Augen, dicht vor seinen eigenen, die weißen Zähne, die Hand dort unten. Er schwitzte heftig und mußte schnell mehr Bier in sich hineinschütten. Verdammt, er war vielleicht durcheinander! Und im Grunde fast vergewaltigt worden. Jawoll. Andreas hatte sich ihm aufgedrängt. Und jetzt verfolgte ihn dieses Erlebnis. Doch dann sah er Andreas vor sich. Die schmalen Schultern, den trotzigen Blick. Einen neuen Andreas, den er zuvor nie gesehen hatte. Es konnte nicht wahr sein. Er war als Freund erwählt worden. Er sprang auf und verließ das Lokal. Es war fast dunkel, als er sich auf den Weg machte. Er hatte keine Angst, er war nicht einmal nervös. In ihm wuchs ein gewaltiger Zorn. Er ging so schnell, daß ihm der Schweiß ausbrach. Vor dem Spiegelladen blieb er stehen. Sah dort eine Menge kleine Zipps. Und so kam er sich auch vor. In tausend Stücke zersprungen. Er ging weiter. Erreichte den Hang und mußte sein Tempo drosseln. Dann sah er das Tor und daneben die dichte Hecke. Er beschloß, sich zuerst in den Garten zu schleichen und nachzusehen, ob die Oma zu Hause war. Er preßte sich durch die Hecke, die spitzen Zweige zerkratzten seine Wangen. Der Stuhl stand wieder im Gartenhaus. Er hob ihn hoch, schlich sich an die Hauswand. Stellte den Stuhl ins Beet, hatte schreckliche Angst, Lärm zu machen und gehört zu werden. Die Vorhänge waren halb geschlossen, aber der Spalt war breit genug, daß er in die Küche schauen konnte. Und da saß sie! Er sah Papiere auf dem Küchentisch und daneben eine Kaffeetasse. Zufrieden sprang er wieder auf den Boden. Lief zur Haustür und blieb dort einige Sekunden stehen, um Mut zu sammeln. Las ihren Namen auf dem Türschild. Irma Funder. Dann drückte er auf den Klingelknopf. Nichts passierte. Er hatte auch nicht damit gerechnet, daß sie sofort öffnen würde. Er schellte noch einmal und würde erst aufhören, wenn sie an die Tür kam. Das Gebimmel würde sie früher oder später wahnsinnig machen. Und vielleicht hatte sie nicht genug Ahnung von der Technik, um die Klingel abzustellen. Er hörte drinnen Geräusche. Rasch lief er wieder hinter das Haus. Stieg auf den Stuhl. Jetzt waren die Vorhänge geschlossen. Die miese Kuh hatte tatsächlich die Vorhänge zugemacht! Er rannte zur Tür, klingelte. Am Ende preßte er den Finger auf den Klingelknopf und hörte überhaupt nicht wieder auf. Die Klingel schrillte. Er hörte Schritte, dann wieder nichts. Niemand machte auf. Er drückte wieder auf die Klingel. Und blieb stehen. Hatte er plötzlich Angst? Wenn sie nun die Polizei rief? Das hier war doch sicher schon als grober Unfug zu rechnen?
Da öffnete sie die Tür, wenn auch nur einen winzigen Spaltbreit. Er sah ihr weißes Gesicht und ihre Augen, glasklar.
»Was willst du?«
Eine brüchige Stimme, trocken wie Zunder.
»Andreas«, keuchte er. »Wo ist Andreas?«
Sie schwieg lange. Musterte ihn, fast neugierig. Und ihm wurde klar, daß sie Bescheid wußte. Sein Mut und seine Wut wuchsen.
»Was ist passiert?«
Er versuchte einen Fuß in den Türspalt zu klemmen, aber sie kam ihm zuvor. Die Tür fiel ins Schloß.
»Scheiße«, schrie Zipp, »ich muß wissen, wo er ist!«
»Warum sollte ich dir einen Gefallen tun?«
»Das weiß ich«, rief er. »Aber können Sie mir nicht trotzdem einen Tip geben?«
»Warum sollte ich dir einen Gefallen tun?« fragte sie tonlos. Ihre Stimme war hinter der schweren Tür kaum zu hören.
»Weil ich darum bitte!« jammerte er.
Sie öffnete die Tür wieder. »So leicht bin ich nicht zu überreden«, sagte sie. »Mach, daß du nach Hause kommst. Er wird schon gefunden werden.«
Zum zweiten Mal fiel die Tür ins Schloß. Zipp klingelte, aber nichts passierte. Er lief hinter das Haus, kletterte auf den Stuhl. Unten unter dem Vorhang war ein schmaler Spalt. Zipp
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