Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
an. »Warum sollte ich mich hinlegen?«
»Du siehst so müde aus. Du mußt dich ein wenig ausruhen. Und in der Nähe des Telefons bleiben. Falls er anruft.«
»Falls er anruft«, sagte sie leise, wie ein schwaches Echo.
»Oder die Polizei. Wenn sie ihn gefunden haben.«
»Ich halt es nicht aus, allein im Haus zu sein. Das macht mich verrückt.«
Herrgott! Jetzt wird sie mich fragen, ob sie hierbleiben darf, dachte ich, sie will bei mir schlafen. Ich sprang auf und lief nervös in der Küche hin und her.
»Was ist los, Irma? Du siehst ja total verstört aus.«
»Ja, nein, ich bin nur ein bißchen nervös. Weil du das alles erzählt hast. Und ich fühle mich wirklich nicht wohl. Ich gehöre eigentlich ins Bett.«
Unvermittelt sprang Runi auf. Sie sah ganz verändert aus. Ich wartete ängstlich auf das, was jetzt kommen würde.
»Ich gehe«, sagte sie hart. Sie sah tief getroffen aus, zu Tode verletzt.
Ich stand vor ihr und schaute sie schuldbewußt an.
»Ich verstehe dich nicht«, sagte sie. »Ich habe dich noch nie verstanden.«
»Da gibt es nicht viel zu verstehen«, erwiderte ich.
Etwas in mir verkrampfte sich, das spürte ich deutlich, und ich war unterwegs, hinein in diese verhärtete Stelle, wo sie mich nicht erreichen konnte.
»Bist du nicht mehr meine Freundin?« Sie musterte mich forschend.
»Es gibt so vieles, was du nicht weißt«, sagte ich abweisend.
»Du erzählst mir ja auch nichts.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin am liebsten allein«, erklärte ich.
Sie zog ihren Mantel an. Nahm die Handtasche vom Stuhl. Blieb einen Moment unsicher stehen. In ihren Augen standen Tränen.
»Als Henry dich verlassen hat, habe ich versucht dir zu helfen. Damals warst du am Boden zerstört. Hast du das vergessen, Irma? Und als du krank geworden bist. Ich habe es immerhin versucht. Aber geh du nur ins Bett. Ich werde dich nicht mehr belästigen.«
Sie ging zur Tür. Ich hätte weinen müssen, aber vor allem war ich erleichtert, sie endlich los zu sein.
In der Tür blieb sie stehen und blickte mich fragend an. »Was war das für ein Geräusch?«
»Was für ein Geräusch?«
»Es kam aus dem Keller. Hast du das nicht gehört?«
»Nein, ich höre…«
»Pst. Still!«
»Ach, das.« Ich spähte rasch in Richtung Kellerluke. Und dann wußte ich es plötzlich. »Das ist der Heißwasserbehälter. Der klickt immer so. Der hält sicher nicht mehr lange. Ich habe schon überlegt, ob das bei dem Gewitter vor zwei Wochen passiert sein kann, weißt du, als es unten in der Straße gebrannt hat und ein Baum über…«
»Mach’s gut, Irma.«
Ich gab keine Antwort, ich starrte sie nur an. Ich dachte: Geh jetzt, Runi, laß mich in Ruhe. Als die Tür ins Schloß gefallen war, drehte ich sofort den Schlüssel um. Dann blieb ich lange auf die Kommode gestützt stehen. Als ich den Kopf hob, erblickte ich im Spiegel mein Gesicht. Es sah wieder normal aus.
»Ich heiße Irma«, sagte ich laut. »Und dies ist mein Haus.«
Ich ging zur Treppe und setzte mich. Ich hielt die Lampe in der Hand. Es sah schön aus, fand ich, die zitternde kleine Flamme, das Licht, das über sein Gesicht huschte. Andreas öffnete die Augen. Er sah nicht ängstlich aus. Er lag ganz still da und wartete. Dann entdeckte er die Lampe. Ich hielt sie ihm vor die Augen. Er runzelte die Stirn.
»Ich werde dir die Zeitung vorlesen. Da steht etwas, das du hören mußt.«
Ich lächelte, als ich das sagte. Es gefiel mir, daß er dort lag und nicht weglaufen konnte. Daß er zuhören mußte. Ein Mann mußte einfach daliegen und Irma Funder zuhören, sich alles anhören, was sie zu sagen hatte. Ein schöner Mann. Von der Sorte, die glaubt, das ganze Leben im Griff zu haben, von der unsterblichen Sorte. Sie müssen verstehen, wieviel das für eine Frau wie mich bedeutete. Jetzt setzte ich die Regeln fest. Zwang sie ihm auf. Und das ist ein gutes Gefühl.
»Hör dir das an. Ich begreife so was nicht, verstehe solche Menschen nicht.« Und dann las ich vor: »Das Zentralkrankenhaus teilt mit, daß eine Frau sich am 1. September mit einem Säugling in der Notaufnahme eingefunden hat.«
Andreas schien sich zu langweilen, oder er stellte sich schlafend. Aber ich wußte, daß er zuhörte, ich sah es ihm an. Die Stunden im Keller waren lang. Er mußte das wenige mitnehmen, das er bekam.
»Das Kind wurde untersucht, und der Arzt konnte nichts feststellen. Erleichtert fuhr die Frau nach Hause.«
Jetzt atmete Andreas rasch und leicht, fast wie
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