Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
kniff die Augen zusammen, versuchte, den Bildausschnitt, den er dort sah, zu deuten. Etwas Blaues geriet in sein Blickfeld und etwas, das Ähnlichkeit mit einem weißen Kreuz hatte. Andreas’ Mütze.
A ndreas öffnete langsam die Augen. Ich stand auf halber Höhe der Treppe und sah ihn an. Ich hatte die Oberhand. Ich ragte auf der steilen Treppe auf, während er zu meinen Füßen auf dem Boden lag. Ich hatte das Gefühl, abheben und fliegen zu können, sobald ich die Arme ausstreckte. In perfekten Kreisen über ihm schweben und auf seine unbewegliche Gestalt hinunterstarren zu können.
»Hast du die Klingel gehört? Das war ein Bekannter von dir. Zipp.«
»Du lügst«, flüsterte er.
»Er hat nach dir gefragt. Er hat mich auf Knien angefleht.«
Sein Brustkasten hob und senkte sich kaum merklich unter der Decke.
»Das, was du auf dem Bauch hast«, sagte er leise. »Das ist doch kein Grund, sich zu schämen.«
»Ich schäme mich nicht!« schrie ich. Donnerte mit allem, was ich an Stimme hatte: »Ich schäme mich nicht. Dafür kann ich schließlich nichts!«
»Du warst krank, oder?«
Ich ging rückwärts zwei Stufen höher und drückte die Hände auf meinen Bauch. »Das geht dich nichts an. Ich habe noch nie jemanden damit belästigt.« Dann ließ ich mich auf eine Stufe sinken, erschöpft nach dem Ausbruch und erstaunt darüber, wie es sich anfühlte, so zu schreien. Ihm voll ins Gesicht zu brüllen. Auf einen anderen Menschen zu zielen und abzudrücken. Ich war ganz schlapp und fühlte mich doch wohl. Hätte laut lachen mögen. Aber das wäre nur Wasser auf die Mühle gewesen, an der Andreas immer wieder drehte – daß ich verrückt sei oder so, und das war ich nicht. Bin ich nicht.
»Irma ist ein seltsamer Mensch«, sagte er plötzlich.
»Warum sagst du das?« Ich starrte ihn an.
»Mutter sagt das immer. Jedesmal, wenn du sie besucht hast.«
»Du hast mich also erkannt?«
»Natürlich.«
»So darfst du nicht reden. Das macht es mir schwer, dich wegzulassen.«
»Du wirst mich sowieso nie weglassen«, sagte er leise. »Ich werde hier unten sterben. Mein Körper verschwindet. Meinst du, ich merke nicht, wie ich stinke?«
»Das kommt von deiner Kopfwunde«, sagte ich unsicher. »Die hat sich entzündet.«
»Dieser Beutel auf deinem Bauch«, wiederholte er. »Der ist doch nichts. Wenn du wüßtest, was ich mit mir herumschleppe. Jetzt kann ich ja nichts mehr herumschleppen. Aber es ist trotzdem noch verdammt schwer.«
Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. Ich rutschte eine Stufe tiefer.
»Es ist so schrecklich«, schluchzte er. Er bekam nicht genug Luft, um richtig zu weinen, und er machte einen jämmerlichen Eindruck. Wütend zu sein bekam ihm besser, aber jetzt erwachten andere, lästigere Gefühle langsam zum Leben. Das überwältigte mich, sein schönes Gesicht wurde noch schöner, wenn die Bosheit fehlte und nur das Kind zu sehen war. Sein Mund bebte, und er kniff die Augen zusammen, um Tränen zurückzuhalten. Ich dachte an Ingemar, als er klein war, an seinen Geruch, Seife und Babyöl. An sein rundes Köpfchen, so schrecklich verletzlich. So verletzlich, wie Andreas jetzt war.
»Das Kind«, sagte er schleppend. »In Furulund. Das Kind, das gestorben ist. Das waren Zipp und ich.«
Sein Kinn klappte nach unten. Für einen Moment glaubte ich, er werde ins Koma sinken. Eine große Speichelblase bildete sich zwischen seinen Lippen.
»Das Baby?« fragte ich verwundert.
Er schluckte mühsam. »Wir wollten ihre Tasche klauen. Sie machte am Wasser einen Spaziergang. Ist mir egal, was mit mir passiert. Mach doch, was du willst.«
Lange saß ich da und hörte ihm einfach nur zu. Seine Stimme wurde immer matter.
»Du hast eine Kopfverletzung davongetragen«, sagte ich.
»Geh«, sagte er.
»Ich gehe, wann ich will. Das ist mein Haus. Darüber müssen wir sprechen. Ihr habt euch so gedankenlos verhalten!«
»Das weiß ich. Das habe ich eingesehen. Das mit der Tasche war nur Kleinkram…«
»Leuten die Tasche wegreißen? Kleinkram?«
»Ich habe alles kapiert. Jetzt, wo es zu spät ist. Du bist total verrückt, aber du kannst mir nichts mehr tun.«
»Nimm dich in acht«, schrie ich. »Unser Gespräch ist zu Ende, wenn ich es sage. Und versuch ja nicht, die Zeit, die dir noch bleibt, zu nutzen, um mich zu demütigen. Reiß dich zusammen! Sonst kriegst du kein Wasser mehr.«
»Liebe Irma.« Seine Lippen verzogen sich. »Wie soll ich mich noch zusammenreißen? Ich will kein Wasser
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