Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
mehr.«
»Dann verdurstest du.«
»Ohne Wasser stirbt man schneller.«
»Du redest nur so dahin. Und begriffen hast du rein gar nichts. Hättest du etwas begriffen, dann hättest du dich ein bißchen bedeckter gehalten. Und mir ein wenig Achtung erwiesen.«
»Ich liege auf deinem Kellerboden«, sagte er. »Bedeckter kann ich mich gar nicht halten. Der Tod ist ein Befreier, Irma. Ich habe mich verbotenerweise auf der Erde aufgehalten. Und jetzt ist der Rückzug angesagt.«
Ich wußte nicht, was dieses Gefasel sollte. Er verlor offenbar den Verstand. Wütend stand ich auf und ging. Saß eine Viertelstunde am Küchentisch und dachte nach. Nach einer weiteren Viertelstunde ging ich mit warmer, süßer Milch in der Flasche wieder nach unten. Er erinnerte mich an einen Säugling, wie er so dalag. Ich hatte eine Strickjacke angezogen, aber durch die Heizsonne war es ohnehin warm unten. Es gefiel mir, dort zu sitzen und ihn anzusehen. Als er getrunken hatte, wollte er wieder einnicken, doch ich rief immer wieder seinen Namen, Andreas, Andreas, und er riß die Augen auf. Ich zog die Zeitung aus der Schürzentasche und zeigte ihm die Vermißtenmeldung und das schöne Bild. Wer hat Andreas gesehen? Da brach er in Tränen aus.
Hören Sie! Immer wieder bin ich in den Keller gegangen. Tag für Tag. Habe gefragt, ob er etwas brauchte. Habe neue Kerzen in die Lampe gesetzt, habe die Decke geradegezogen. Er fing an zu riechen. Sein Gesicht war eingefallen, seine Augen fast grau. Ich empfand immer wieder einen kurzen Moment der Freude, wenn ich seinen Kopf mit den dunklen Locken sah. Wenn ich sah, daß er noch immer dort lag, ganz lautlos. Ich dachte nicht voraus. Und auch nicht zurück. Immer hatte ich mir über den nächsten Tag und alles, was kommen mochte, Sorgen gemacht. Aber damit war es vorbei. Ich lebte im Jetzt. Und fand endlich eine Art Frieden.
4. SEPTEMBER
Drei verdammte Nächte waren vergangen. Zipp schlug im Telefonbuch den Buchstaben F auf. Wie leicht das ist, dachte er. Einfach aufschlagen, suchen und anrufen, plötzlich dort sein, voll in ihrem Ohr. Drohen und schikanieren. Es schellte und schellte. Er umklammerte den Hörer.
»Hier ist Zipp!« schrie er. »Ich will mit Andreas sprechen.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Er hörte nur ein leises Rauschen und ihren Atem.
»Andreas ist nicht zu sprechen.«
Was wollte sie damit sagen? Nicht zu sprechen? Sie saß mit ihrem verdammten breiten Hintern auf der Wahrheit, diese miese alte Kuh. Vor Erregung zitterten ihm die Knie. Dieses verdammte Gefühl, zu wissen, daß jemand ihm voll ins Gesicht oder, um korrekt zu sein, voll ins Ohr log! So glatt, so absolut schamlos. Die Wut rauschte in seinen Ohren.
»Ich weiß, daß er da ist. O Scheiße!«
»Du weißt gar nichts.«
Sie klang ganz ruhig. Er spürte sein Herz hämmern.
»Seine Mütze liegt auf deinem Küchentisch.«
Wieder wurde es still. Jetzt hatte er ihr Stoff zum Nachdenken gegeben. Er trat von einem Fuß auf den anderen und rang um einen klaren Kopf.
»Du solltest sorgfältiger aufräumen«, blaffte er.
»Ich bin dabei. Hast du bei dir schon aufgeräumt?«
Er horchte auf ihre Stimme und versuchte, ihre Gedanken zu erraten. Wie konnte sie so ruhig sein?
»Ja«, antwortete er. »Mir fehlt nur Andreas.«
»Was ist mit dem Baby?« fragte sie leise.
»Ich hab keins«, rief er. »Und ich hab keinen Nerv für dieses Spiel. Ich will nur Andreas!«
»Andreas weint«, flüsterte sie. »Er weint um das Baby.«
Plötzlich spürte Zipp eine bohrende Angst.
»Das Baby aus Furulund. Das lebt nicht mehr.«
Er starrte ins Telefonbuch. Funder, Furnes, Fyken. Wovon redete die Alte bloß? Er starrte die Zeitung auf dem Tisch an, glaubte, daß die Frau bluffte.
»Kopfverletzungen«, flüsterte sie. »Säuglinge sind so empfindlich. Wenn du nicht aufhörst, mich zu quälen, rufe ich bei der Polizei an und sage, daß du den Kleinen umgebracht hast. Einen Jungen von vier Monaten. Sie suchen schon nach euch.«
»Ich hab doch versucht, den Wagen anzuhalten!« schrie er.
Ein leises Klicken. Und dann das Freizeichen. Durch das Fenster sah er den Kirchturm. Und einen Riß im bleichen Himmel. Seine Knie fingen an zu zittern. Ein Baby. Er mußte die Zeitungen durchsehen, sich bestätigen lassen, daß die Alte ihm eine Lüge aufgetischt hatte. Daß sie bluffte. Zeitung lesen. Aber zuerst mußte er sich ein wenig ausruhen. Er schwankte in den Kellerraum, legte sich aufs Sofa, schloß die Augen. Und schlief
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