Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Brust. Hinter seinem Kopf sah ich etwas auf dem Boden. Seine blaue Mütze. Die hob ich auf.
»In dem Wasser sind so komische Punkte«, sagte er.
»Valium«, sagte ich. »Damit du schlafen kannst.«
»Danke«, flüsterte er.
Zipp schnorrte bei seiner Mutter zweihundert Kronen. Sie ahnte in seiner Stimme eine gewisse Verzweiflung. Irgend etwas stimmte nicht, da war sie ganz sicher. Ihre Neugierde machte Besorgnis Platz. Zipp war kein Kind mehr, und sie wollte das alles gar nicht wissen. Sie interessierte sich nur für Kleinigkeiten. Für das, was im normalen Rahmen jugendlichen Rebellionsgeistes lag. Ihre Feigheit überwältigte sie, und sie dachte an seinen Vater, der nicht mehr lebte, und wünschte ihn sich zurück. Bei diesem Gedanken empfand sie blankes Entsetzen. Sie vermißte den Mann nicht. Aber um diesen Fall hätte er sich kümmern können.
Zipp ging geradewegs zum Headline. Er wollte sich an denselben Tisch setzen und in Gedanken den letzten Abend durchgehen. Eine Erklärung finden. Aber der Tisch war besetzt. Einen Moment lang stand er mit seinem Bier in der Hand hilflos da. Trank langsam. Fand einen anderen Tisch. Es war neun Uhr, es wurde dunkel. Er wollte zu dem Haus gehen, klingeln und die Oma unverblümt fragen. Wenn sie überhaupt aufmachte. Er trank sich Mut an. Ihm ging auf, daß er ganz allein sein würde, wenn Andreas nicht wieder auftauchte. Er hatte sich niemals andere Freunde zugelegt, das war nicht nötig gewesen. Oder hatte Andreas es so eingerichtet? Ein größerer Bekanntenkreis hätte größere Gefahr bedeutet. Zipp war im Grunde ausgenutzt worden, hatte als eine Art Lebensversicherung fungiert. Andreas war ein Taktiker. Aber Zipp hatte sich doch wohl gefühlt, er hatte nie Grund zur Klage gehabt. Warum sollte er jetzt also klagen? Abgesehen davon, daß er so restlos allein war und vielleicht um Zugang zu einer Clique aus fernen Bekannten würde betteln müssen, die ihn unter Umständen gar nicht haben wollte. Aber warum sollte er sich solche Sorgen machen? Er konnte einfach fragen. Wenn er endlich auftauchte, was bald geschehen würde, und ihm auf die Schulter klopfte. Mit seiner schmalen Hand. Ihn anfassen. Der schwule Andreas. Zipp wischte sich einen Tropfen von der Nase. Das Leben war zu schwierig für ihn. Wen sollte er um Hilfe bitten? Die Polizei vielleicht, und dort die Wahrheit sagen? Fast hätte er sich am Bier verschluckt. Mein Kumpel und ich, wir haben in Furulund eine Alte ausgeraubt. Dabei ist übrigens ihr Kind aus dem Wagen gefallen und hat wie am Spieß gebrüllt. Und dann haben wir gebechert, bis auf dem Friedhof alles drunter und drüber gegangen ist; er hat mich angegrapscht, das war einfach die Härte. Für ihn und für mich. Da mußten wir doch etwas unternehmen. Wir haben uns eine alte Oma ausgesucht, die ganz allein wohnt. Andreas ist mit einem Messer in der Hand in ihr Haus gegangen. Er leerte sein Glas und holte sich noch eins. Jetzt würde er ein für allemal feststellen, was eigentlich passiert war. Er würde die Oma fragen, was los war, und er würde sogar zugeben, daß sie ursprünglich zu zweit gewesen waren. Wenn sie dann endlich sagte, was Sache war. Andreas’ Mutter hatte wieder angerufen, er hatte die Geschichte noch einmal erzählen müssen und gemerkt, daß er nicht mehr genau wußte, was er beim ersten Mal gesagt hatte. Er hatte ihr etwas anderes erzählt als dem Polizisten mit dem Lockenkopf. Nicht, daß das eine Rolle spielte, er konnte immer noch anführen, daß es spät und dunkel gewesen war und daß er ja im Grunde nichts sicher wußte. Die Mutter war total verzweifelt. Das war verdammt unangenehm, er war solche Gefühlsausbrüche nicht gewohnt. Er beobachtete die Leute, die kamen und gingen. Die meisten entdeckten Bekannte und johlten und riefen. Ja, Scheiße, du auch hier? So in dem Stil. Ihm selbst wurde vages Nicken zuteil, mehr nicht. Andreas hatte ihn festgehalten. Hatte eine übersichtliche Zone eingerichtet, um sein widerliches Geheimnis bewahren zu können. So empfand er das, als widerliches Geheimnis, doch zugleich schämte er sich. Andreas war doch sein Kumpel und ansonsten unverändert. Die Art, wie er ging und stand und lachte. Wie er seine Zigarette hielt. Er wohnte im selben Haus, er hatte dieselbe Arbeit. Sah besser aus als die meisten anderen Jungen, war vielleicht auch cleverer. Der Unterschied war, daß er einen Mann brauchte, um geil zu werden. Aber Sex war schließlich wichtig. Sagte sehr viel über einen Menschen
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