Dunkler Schnee (German Edition)
verwirrt.
„Ich glaube, Sie mögen mich.“
„Bitte hören Sie auf, Volker, ich muss Ihre Behandlung sonst abbrechen.“
„Das wäre schade. Ich bin ganz ruhig. Sage kein Wort mehr.“ Sein Lachen wurde zum Lächeln, er beobachtete sie, sagte hin und wieder „au“, wenn Marisa den Druck ihrer Massage erhöhte, blieb aber ansonsten stumm.
Nach einer Viertelstunde lächelte auch Marisa. „So gefallen Sie mir“, sagte sie und forderte ihn auf sich hinzusetzen.
„Ich zeige Ihnen jetzt die Übungen, passen Sie auf!“ Sie setzte sich neben ihn und demonstrierte, wie er Handgelenk und Arm trainieren konnte. Er tat es ihr nach, berührte sie dabei ganz zart, wie zufällig an der Seite, am Arm, am Oberschenkel.
„Das reicht für heute!“, sagte Marisa, als ihr bewusst wurde, was er tat. „Wir sehen uns nächste Woche.“
„Schade“, antwortete Volker lächelnd, sortierte seine Kleidung, strich sich über die Haare, nickte Marisa noch mal zu und ging.
Marisa verließ die Kabine erst Minuten später. Verwirrung, Ärger, das Gefühl der Anziehung wechselten sich ab.
Sie holte gerade ihre Tasche und Jacke aus dem Spind, als Elke ihr zuflüsterte, Georg möge sie gern sprechen. Stirnrunzelnd folgte Marisa der Aufforderung.
„Gut, dass du eben noch Zeit hast. Setz dich!“ Georg Müller wirkte wie immer ruhig, wie immer auch ein bisschen ordinär, wie er mit geöffnetem Hemd, das zu viel Blick auf seinen alternden Hals gestattete, und schimmerndem Goldarmband am rechten Handgelenk und einer Uhr, die sein linkes Handgelenk mehr verdeckte als betonte, auf seinem Chefsessel saß. Er zündete sich einen Zigarillo an, lehnte sich zurück, und sah Marisa durch die Rauchwolke hindurch an.
„Gut und schön, dass ihr beiden Turteltäubchen euch gefunden habt. Aber ich möchte, dass das Gerede aufhört.“
„Chef, was kann ich dafür, wenn die anderen sich nicht an die Regeln halten?“, entgegnete Marisa.
„Du weißt genau, wie ich zu dem Thema stehe. Sorg dafür, dass sich alle auf die Arbeit konzentrieren. Du und Laurens, ihr haltet euch gefälligst zurück. Ich möchte nicht, dass meine Leute zum Tagesgespräch der Patienten werden. Wir sind eine seriöse Firma und haben nur das Wohl der Kunden im Auge. Wenn ich auch nur einen Knutscher oder einmal Händchenhalten sehe, dann rappelt’s im Karton! Das hab ich Laurens übrigens auch schon gesagt.“
„Ja, schon gut. Am besten hätten wir gar nichts gesagt und würden heimlich heiraten.“ Marisa stand auf; sie fühlte sich zu Unrecht angemacht.
„Apropos, wann ist denn das große Fest?“ Georg blinzelte, offenbar war ihm Rauch ins Auge gestiegen.
„Ach so, auf eine Einladung bist du aber aus, wie?“ Marisa schüttelte grinsend den Kopf. Bellende Hunde beißen nicht, dachte sie und verabschiedete sich ohne eine weitere Antwort.
Zu Hause fand sie auf dem Küchentisch einen Zettel von Laurens. „Ich warte im „Scampi“ auf dich. Laurens“
Das „Scampi“ war ihr Lieblingsrestaurant, in das sie immer flüchteten, wenn sie keine Lust zu kochen hatten. Marisa fand es verlockend, der Hausarbeit zu entkommen, und zog sich rasch um. Bevor sie ging, leerte sie noch ein Fläschchen Magenbitter. In den letzten Wochen hatte sie sich das zur Gewohnheit gemacht; der Alkohol beruhigte sie, wenn wieder mal der Ärger wegen all der offenen Fragen, die in ihrem Privatleben auf Antworten warteten, über ihrem Haupt schwebte.
Es war nicht nur die anstehende oder eben noch nicht anstehende Hochzeit, sondern auch das Drängen Laurens’, eine eigene Praxis zu gründen. „Von welchem Geld?“, hatte Marisa gefragt, denn wenn auch ihre Eltern wohlhabend waren, so hatte weder sie selbst noch Laurens nennenswerte Rücklagen. Es ärgerte sie, dass er davon ausging, das Geld von ihren Eltern vorgestreckt zu bekommen. Er hatte bisher nicht einmal ein ernstes Gespräch hinsichtlich seiner Pläne gesucht, geschweige denn Marisas Meinung ernst genommen. Diese wischte er meist mit einem lockeren Spruch vom Tisch. Marisa jedoch dachte vor einer beruflichen Existenzgründung lieber ans Kinderkriegen. „Ich will nicht erst mit 40 mein erstes Kind bekommen!“, ermahnte sie in regelmäßigen Abständen. Er zog sich dessen ungeachtet in ein Schneckenhaus zurück. Seine Euphorie zur Familiengründung, aus der er in der ersten Phase ihrer Beziehung keinen Hehl gemacht hatte, schien neuerdings so blass wie eine Wand.
Das übersichtlich eingerichtete Restaurant bestand aus langen
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