Dunkler Schnee (German Edition)
langsam die Straße herunterkommen! Sie überlegt für einen Moment ernsthaft, ob sie auf sich aufmerksam machen soll, ob sie verrücktspielen soll, ob sie darauf bauen soll, dass die Staatsmacht ihr aus der Bredouille hilft. Doch so sinnlos ihr die ganze Chose bis jetzt vorkommt, so sinnlos gestaltet sich auch diese Überlegung. Mit einem Ruck bringt sie den Wagen in eine akzeptable Position und steigt aus. Wütend knallt sie die Tür. Und um wenigstens den Ansatz von Rebellion zu zeigen, verzichtet sie auf das Bezahlen fürs Parken. Kurz noch schaut sie dem Fahrzeug der Polizei hinterher, wie es an der nächsten Kreuzung langsam um die Ecke verschwindet und bemüht sich um Wahrung ihrer Fassung und Besinnung auf ihre Rolle der reichen Europäerin, die nichts anderes im Sinn hat als Shoppen in Halifax.
Das Betreten des Juweliergeschäfts lockt mit dem Läuten eines Dreiklangs einen Verkäufer im schwarzen Anzug an. Mit jovialem Lächeln kommt er auf sie zu, reibt sich die Hände und fragt dienstbeflissen, wie er helfen könne. Ärgerlich, dass sie keine Minute hat, sich zu akklimatisieren, faselt Marisa in schlechtem Englisch etwas von der bevorstehenden Hochzeit einer imaginären Schwester und Geschenken und Überraschungen für die Brautjungfern daher und hofft aufgrund ihrer absichtlich eingebauten Fehler, der Mann möge sie nicht allzu viel fragen. Sie weiß jetzt schon, dass der Einkauf ein Höchstmaß an Konzentration fordert. Sie ist in Karat-Fragen, Diamant-Begutachten und schlauen Sprüchen über Colliers etc. kein As und fühlt sich in ihrem Hosenanzug – dem einzigen etwas schickeren Kleidungsstück in ihrer Reisegarderobe – fehl am Platz. Sie fürchtet, der Juwelier sehe ihr das Possenspiel an, aber sie versucht sich so gut es geht als reiche Frau. Sie schauspielert, als ginge es um ihr Leben. Der Mittfünfziger im schwarzen Anzug zieht an einem silbernen Kettchen ein Schlüsselchen aus seiner Westentasche und öffnet damit einen Schrank hinter dem verglasten Verkaufstresen. Im Nu zaubert er mehrere Schachteln mit auf Seide ruhenden Halsketten hervor. Die Preise bewegen sich zwischen tausend und fünftausend Dollar.
„Haben Sie Teureres?“, fragt Marisa und schaut den Mann geradeheraus an. Sie merkt, dass sie in die Offensive gehen kann – sie hat nichts zu verlieren; zumindest nicht in diesem Laden. Der Verkäufer fängt an zu schwitzen und begibt sich an einen anderen Schrank. Einer schmalen Lade entnimmt er ein noch edleres Kästchen und präsentiert Marisa ein mit Diamanten besetztes Platincollier. „Das liegt bei zehntausendeinhundertfünfundfünzig Dollar“, klärt der Mann sie auf, „plus Steuern, versteht sich.“ Er setzt ein mokantes Lächeln auf. „Es ist eine Spezialanfertigung auf besonderen Wunsch eines früheren Kunden. Leider verstarb der Mann, bevor …“
„Okay, das nehme ich“, unterbricht ihn Marisa und fragt nach passenden Ohrsteckern. Der Juwelier schwitzt weiter und winkt einer Angestellten, sie möge helfen. Die Verkäuferin fragt Marisa höflich nach weiteren Wünschen, während der Juwelier sich verstohlen die Stirn abwischt. Das ist lustig, denkt Marisa, das ist richtig lustig, und wenn mir nicht so elend wäre, würde ich laut lachen. Sie kauft noch eine Reihe Ohrringe, mehrere Brillantringe, zwei edle Herrenarmbanduhren und mehrere Paare Manschettenknöpfe. Dann geht ihr die Puste aus. Sie fühlt sich matt und ausgelaugt und lässt alles zusammenrechnen. Die Summe erreicht rund 25.000 Dollar. Ihr ist es egal, ihr ist egal, wie merkwürdig die Leute sie ansehen, dass der Ladenmanager mit einem Telefon in der Ecke steht, dass ihre Kreditkarten gecheckt werden und sie mit den deutschen Kreditinstituten sprechen muss, bevor man die Quittungen fertigmacht. Sie nimmt das Telefon, erklärt ihren Großeinkauf, indem sie einfach auf ihren Kreditrahmen verweist, und hofft auf einen flüssigen Ablauf. Es scheint unendlich zu dauern, bis ihre Einkäufe, deren Kosten sie auf die zwei ihr zur Verfügung stehenden Kreditkarten verteilt, in Kästchen verpackt, diese in Tütchen versteckt und schließlich mit einem Bändchen zugebunden sind und sie endlich gehen kann. Sie verneint dankend die Frage nach Begleitung bis zu ihrem Wagen und schwitzt mittlerweile genauso stark wie der Juwelier.
Aufatmend verlässt sie nach einer Stunde den Laden und muss sich beeilen, um die Verabredung mit Todd und Adam nicht zu verpassen.
Sie läuft zu Fuß zum Cabin, in dem sie sich zum
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