Dunkler Schnee (German Edition)
den Restaurants und Kneipen versammeln, um zu rauchen, biegen um mehrere Ecken, wandern schließlich hoch Richtung Zitadelle, die seit dem 18. Jahrhundert über die Stadt und den Hafen blickt, wenden sich vor der Old Town Clock wieder ab auf die Brunswick Street und gehen hinunter an der Veranstaltungshalle „Metro“ vorbei, wo man international schon mal um einen Eishockey-Pokal kämpft, um endlich wieder auf die Lower Waterstreet zu stoßen, wo sie sich noch mehrmals versichern, dass ihnen niemand folgt. Durchgefroren erreichen sie den Pub und drängeln sich durch eine Traube Menschen, die den Eingang blockieren. Nikotinfreie, aber dennoch stickige Luft schlägt ihnen entgegen, denn die Kneipe ist voll. Vom hinteren Teil schallt ihnen Livemusik irischer Couleur entgegen, die sich über Hunderte Köpfe und Schaumkronen fast trotzig Gehör verschafft. Adam findet seinen Freund Todd ohne Probleme an einem Tisch mitten im Gewühl. Die beiden Männer begrüßen sich fast flüchtig, aber Marisa erkennt eine tiefe Vertrautheit zwischen ihnen. Auf Anhieb gefällt ihr der unprätentiös wirkende Mann. Er ist kaum größer als sie, trägt einen Lumberjack, Jeans und eine Baseballkappe, die nur wenig von seinem dunkelblonden, glatten Haar sehen lässt. Er hat eine kräftige, leicht untersetzte Figur, wirkt neben Adam sehr viel rustikaler und entspricht ungefähr dem Bild, das sich Marisa von den kanadischen Männern gemacht hat.
Sie begeben sich an die Theke, nachdem sich Todd mit einem Schulterschlag von den anderen am Tisch verabschiedet hat. Obwohl nicht eine Handbreit Platz mehr für neue Gäste ist, erobert Todd mit Leichtigkeit einen laufenden Meter am Tresen; er nimmt die Kappe ab, bestellt zwei Bier und eine Cola und blickt Marisa und Adam neugierig an. Adam wirkt, obwohl wieder bunt gekleidet, fast wie ein Senior neben dem jungenhaften Todd. Doch altersmäßig scheinen die beiden nicht weit auseinanderzuliegen. Marisa fängt an sich zu entspannen, schaut sich jedoch immer wieder im Lokal um. Sie wartet, bis Adam seinen Freund mit wenigen Sätzen ins Bild gesetzt hat, kann sich sowieso nicht einmischen, weil es zu laut ist. Gespannt wartet sie auf Todds Reaktion. Die Musik verstummt, gleichzeitig werden auch die Gespräche der Kneipenbesucher ein wenig gedämpfter. Todd nimmt einen großen Schluck Guinness und wischt sich den Schaum vom Mund. „Nun, eine Sache, die wir ohne großen Aufwand tun können, ist eine Kamera bei dir zu Hause zu installieren.“ Todd sieht Adam an. Der antwortet: „Du meinst, damit wir die Straße einsehen können?“
„Genau, wir könnten sie so am Fenster anbringen, dass der gesamte Raum vor dem Eingang beobachtet wird. Da die Kameras übers Internet laufen, können wir von jedem Computer aus sehen, was sich vor deinem Haus tut.“
Marisa zweifelt. „Ja, aber wenn wir zu Hause sind, können wir selber aus dem Fenster sehen, und wenn wir unterwegs sind, wird er uns folgen. Ich weiß nicht, wo der Vorteil einer solchen Kamera liegt.“
„Wir müssen ihm eine Falle stellen“, meint Adam. „Die Kameras können letztendlich überall angebracht werden, richtig? Also, wenn das so ist, müssen wir uns eine Strategie ausdenken, ihn in eine Falle zu locken, dass er dich endlich in Ruhe lässt.“
„Sobald er seine Forderung stellt, müssen wir handeln! Bis dahin haben wir noch Zeit. Vielleicht bekomme ich noch wichtige Informationen aus Deutschland“, sagt Marisa. „Eine Kollegin wird sich in Georgs Büro mal umsehen.“
„Das ist gut“, antwortet Adam, „und Todd, du könntest nach Waverley fahren und nachsehen, wo er wohnt. Je mehr Informationen wir haben, desto besser ist das für unseren Gegenschlag.“
Sie beratschlagen bis zum erneuten Einsetzen der Musik die Möglichkeiten der Web-Kameras und überlegen, inwiefern sie ihnen von Nutzen sein können. Eine Lösung für Marisas Problem finden sie nicht, aber immerhin die Zuversicht, dass sie mit Todd eine Unbekannte ins Spiel bringen, die Georg überraschen wird. Sie bleiben bis Mitternacht im Pub, wenden ihren Gesprächsmittelpunkt hin zu den angenehmeren Seiten des Daseins in Halifax, klatschen zur Musik, die immer wieder durch Bierpausen unterbrochen wird, und hin und wieder denkt Marisa, wie merkwürdig ihr Urlaub sich gestaltet. Da sitze ich hier mit zwei eigentlich völlig Fremden, vertraue ihnen mein Leben und meine Sicherheit an, habe in ihnen Freunde gefunden, die mich unterstützen, obwohl ich ihnen nichts bieten
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