Dunkler Schnee (German Edition)
eine Woche, kam sich mittlerweile wie ein zurückgewiesener Teenager vor, der nur noch das Wörtchen „Warum?“ im Hirn hat. Dann wartete sie weiter. Aber nicht mehr auf Volker, denn nach drei Wochen reduzierte sie ihn endgültig auf einen triebgesteuerten Egomanen, stattdessen wartete sie auf ihre Periode. Die Tage ihres Zyklus‘ waren längst abgelaufen, doch keine Blutung trat ein. Ihre Brustwarzen schmerzten bei der kleinsten Berührung, schließlich auch ohne Berührung, die Brüste spannten. Jeder Toilettengang wurde so lange zur unerträglich spannenden Sache, bis sie den Slip hinuntergezogen hatte, nur um festzustellen, dass immer noch kein Blut zu sehen war. „Das gibt’s doch gar nicht“, wurde ihr Standardspruch. Sie fing an, mit ihrem Spiegelbild zu reden, drehte sich vor dem Spiegel hin und her, stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie wirklich … Nein! Das durfte nicht sein! Nicht so, nicht ohne Partner, nicht ohne Liebe! Andererseits hätte es auch was Schönes an sich … Als sie zwei Wochen überfällig war, rief sie endlich bei Yvonne an, um sich mitzuteilen. Das brachte Erleichterung, aber nicht ihre Menstruation. Zwei Schwangerschaftstests von unterschiedlichen Herstellern mit unterschiedlichem Zeitaufwand und mit unterschiedlichen Symbolen zeigten das gar nicht unterschiedliche Ergebnis: positiv.
29. Nova Scotia – Kameras
Schon im Laufe des Vormittages trifft die nächste Nachricht ein. Dieses Mal kommt sie nicht via Telefon, sondern als Brief. Fröstelnd hebt Marisa den Umschlag auf, der genau wie damals halb unter der Tür durchgeschoben ist. Manchmal erschreckt sie der Gedanke, dass Marco nicht verschwunden bleibt, dass er plötzlich auftauchen und sie bedrohen könnte. Zu unrealistisch ist die Vorstellung, er bleibe für immer fort. Vielleicht stecken Georg und er immer noch unter einer Decke, denkt sie, während sie den Umschlag befühlt, als drücke sich der schriftliche Unrat durch das Papier. Sie geht zum Fenster und schaut schon gewohnheitsmäßig hinaus. Kein dunkler Van zu sehen. Aber trotzdem fühlt sie sich beobachtet und dreht rasch die Jalousielamellen in eine schräge Position, dass nur noch das blasse Wintersonnenlicht herein kann.
Beim Juwelier in der Hollis Street kaufst du für 50.000 Dollar ein und bringst die Sachen inklusive Quittungen nach Peggy’s Cove. Da ist es jetzt im Winter schön einsam.
Und damit du auf keine dummen Gedanken kommst, ziehen wir das Ganze zügig durch. Heute Nachmittag, 17:00 Uhr, ist der Schmuck am Fuß des Leuchtturms in einem wetterfesten, aber unauffälligen Behälter!
Solltest du nicht kooperieren, werde ich unverzüglich meine Kontaktleute in Deutschland aufmuntern, deinen lieben Eltern einen Besuch abzustatten.
Denk nur an deinen Köter …
Du kaufst allein ein und bringst die Sachen allein zum Leuchtturm! Und dann verschwindest du! Ich beobachte dich …
Marisa schluckt schwer. Eine schon bekannte, aber unbeschreibliche Wut ergreift sie, sie sieht wieder den Hund aufs Eis laufen und einbrechen; sie denkt an ihre Eltern; ihren Vater, der von jeglicher Aufregung ferngehalten werden muss. Sie geht, nein, sie stampft in der Wohnung herum, rauft sich die Haare und lehnt schließlich mit dem Kopf an der Wand, um die Tränen laufen zu lassen. Es dauert mehrere Minuten, bis sie sich wieder fängt. Aber die Zeit wartet nicht.
Ich muss Adam und Todd informieren, denkt sie, nur ruhig, bleib ruhig, schön durchatmen! Dann muss ich zu diesem beschissenen Juwelier, habe ich überhaupt einen so großen Kreditrahmen? Wie soll ich Mama und Papa erklären, dass ich ihre Kreditkarte so belaste? Woher weiß dieser Arsch, dass ich so viel einkaufen kann? Bleib ruhig, Marisa! Schritt für Schritt – erst mal Adam anrufen.
Sie telefoniert mit beiden Männern. Sie verabreden, dass Marisa zum Juwelier fährt und sie sich zur Lunchzeit in Halifax treffen. Es bleibt keine Zeit für technische Spielereien, alle Überlegungen hinsichtlich der Kameras werden hinfällig, die Zeit drängt. „Mist!“, flucht Marisa ein Dutzend Mal, bevor sie endlich in Adams Dodge steigt, den er ihr in weiser Voraussicht dagelassen hat.
Sie findet nicht gleich einen Parkplatz, muss mehrere Male um den Block fahren und wird immer hektischer. Als sie endlich eine Parkbucht entdeckt, fällt ihr das Rangieren mit dem großen Wagen schwer und sie flucht ohne Unterlass. Plötzlich – der Wagen steht schräg in der markierten Zone – sieht sie einen Polizeiwagen
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