Dunkler Spiegel
wieder. Dann stellte er ihn auf die Medien-Lesestelle des Schreibtisches und schaltete eine Verbindung zwischen ihm und dem Terminal.
Mal sehen, wie gut ich mich noch erinnere , dachte er und machte sich an die Arbeit. Seine Programmierkenntnisse waren verständlicherweise eingerostet: ein Captain hatte Computer und Programmierer, die ihm diese Arbeit abnahmen. Aber er erinnerte sich noch an die Grundlagen, zumindest soweit, daß er eine schnelle und schlampige Kodierung in C50, Logexc, Arian und einigen ähnlichen Programmen schreiben konnte, mit denen man automatisierte Werkzeuge steuern konnte. Denn schließlich handelte es sich genau darum.
Über das Interface zu der Siegelmarke rief er ein Bild des Behälterinhalts auf. Da waren sie – ein Haufen kleiner, sechsarmiger Geschöpfe mit Krebsscheren. Es handelte sich bei ihnen um eins der nützlichsten Werkzeuge eines Chirurgen: winzige Hände und Manipulatoren, die eine einzige Nervenfaser genauso mühelos und geschickt zusammennähten, wie ein Seemann ein Tau verspleißte. Sie konnten durchtrennen und verbinden und zusammennähen; sie konnten Muskel-, Nerven- und sogar Knochenfasern so problemlos miteinander verbinden, als wäre es Stoff. Bei der üblichen mikrochirurgischen Operation beispielsweise eines abgetrennten Gliedes oder eines Stücks abgestorbenem Gehirngewebes kamen etwa ein-, vielleicht sogar zweihundert dieser Helfer zum Einsatz, je nach Größe der zu operierenden Stelle und Schwere der Arbeit. In diesem Behälter waren – Picard legte ein Gitternetz über das Bild und ließ den Computer dann zählen – etwa zweihundert von ihnen in dem Behälter. Würde das genügen? Er wußte es nicht, mußte es jedoch versuchen.
Nachdem es vor einiger Zeit auf seinem Schiff zu bizarren Funktionsstörungen und Systemausfällen gekommen und die Enterprise fast auseinandergefallen war, hatte er sehr aufmerksam Fähnrich Crushers wissenschaftliches Projektpapier über die Aufzucht, Ernährung, Versorgung und Programmierung von sogenannten »Naniten« gelesen. Für die Aufzucht reichte die Zeit hier eindeutig nicht aus. Es würde mindestens einen Monat dauern, um Naniten zu erzeugen, die die notwendigen Bindeglieder und neuronalen Verbindungen in ihrem gemeinsamen neuralen Netzwerk besaßen, um intelligent zu werden und ein Bewußtsein zu entwickeln. Würden ihm jetzt solche Naniten zur Verfügung stehen, könnte er sie höflich bitten, ihm zu helfen, und sie dann freisetzen. Aber das Prinzip würde trotzdem für ihn arbeiten; zumindest war es einen Versuch wert. Bis der Schaden angerichtet, bis es zu spät war, konnte man die winzigen Mikrochirurgen nicht aufspüren, die im optischen Netzwerk oder im Computerkern an der Arbeit waren und frohgemut sämtliche Bestandteile im Computer eines Raumschiffs annagten, die das Leben lebenswert machten – oder genauer gesagt, die es überhaupt erst ermöglichten.
Schilde, Lebenserhaltung, Triebwerke – und, dachte Picard, ganz besonders dieses Gerät in den großen Behältern unten in der technischen Abteilung. Sie schienen, wenn er sich nicht völlig irrte, für Notfälle über eigene Reservecomputer zu verfügen. Aber es gab immer Möglichkeiten, die zu umgehen. Wahrscheinlich waren sie sowieso mit den Zentralkernen verbunden. Sobald die Kerne – oder auch nur einer von ihnen – außer Betrieb waren, hatte sein Chefingenieur nicht nur einen Grund, sie sich anzusehen; vielmehr waren die Computer dieses »Einschließungsgeräts« dann auf sich selbst angewiesen. Und solche Ausrüstungsgegenstände waren immer verwundbar. Doch warum sollte er nur einen Computerkern infizieren? Geordi mußte zwar nur an einen herankommen, doch die Kerne unterstützten sich gegenseitig und waren miteinander verbunden. Er würde alle infizieren.
Picard machte sich ans Programmieren. Diese Naniten waren in diesem Zustand lediglich Maschinen, Maschinen, die taten, was man ihnen auftrug, auch wenn sie vielleicht nicht die Freundlichkeit hatten, zu anderen intelligenten Organismen »Bitte!« zu sagen, um als Antwort ein »Ja, natürlich, gern geschehen!« zu bekommen. Doch auch wenn sie nicht intelligent waren, hatten sie immerhin die Fähigkeit, die härtesten Materialien anzunagen und Teile davon herauszubeißen, sie voneinander zu trennen – sogar die Moleküle des Magnetspeichermediums in den Kernen – und mit Hingabe und Inbrunst in sauber voneinander getrennte Flusen zu zerlegen. Er gab genaue Anweisungen ein – was sie zuerst
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