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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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die Ermittler in diesem Mordfall eine bedeutende Rolle spielen sollte – im negativen Sinne – und sicherlich auch der Grund, warum diese Frau davon ausging, Gott habe sie vor der Entdeckung beschützt.
    Lassek war ein einflussreicher Geschäftsmann aus Ulm gewesen. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, hatte schon früh mit dem Handel unterschiedlichster Waren begonnen und es über die Jahre zu einer eigenen Kaufhauskette gebracht. Seine einfache Herkunft hatte er jedoch nie vergessen und einen Teil seines Vermögens in soziale Projekte für Kinder aus Problemfamilien investiert.
    Thanner, der zu dieser Zeit noch in der Ulmer Jugendseelsorge tätig gewesen war, hatte diesen sympathischen und lebensfrohen Mittfünfziger sehr für sein Engagement bewundert. Vor allem hatte es ihm gefallen, dass Lassek kein großes Aufhebens darum machte. Er hatte geholfen, weil er helfen wollte , und nicht der PR wegen.
    Umso mehr hatte ihn die Nachricht von Lasseks Ermordung erschüttert, die von den Medien als »Wahnsinnstat« bezeichnet worden war. Thanner erinnerte sich noch an das Pressefoto der blutbespritzten Telefonzelle in der Stuttgarter Fußgängerzone, wo Mitarbeiter der Stadtreinigung die Leiche in den frühen Morgenstunden gefunden hatten. Unweit dieser Telefonzelle hatte sich ein Nachtclub
namens Boyhouse befunden. Auch das hatte die Presse nicht ausgelassen, zumal es ein neues Licht auf Lasseks Person warf.
    Lassek war der Schädel mit einem Pflasterstein eingeschlagen worden, der von Straßenbauarbeiten neben der Telefonzelle stammte. Allem Anschein nach musste es sich um eine spontane Tat gehandelt haben.
    Anfangs war man noch davon ausgegangen, dass der Mörder möglicherweise zur Schwulenszene gehörte, in der Lassek verkehrt hatte – heimlich, da er um sein Ansehen besorgt gewesen war –, aber dann war ein Video aufgetaucht, das die mutmaßliche Mörderin zeigte.
    Es war von der Überwachungskamera einer Boutique aufgezeichnet worden, die sich nur zwei Straßen vom Tatort entfernt befand. Darauf war eine Frau zu sehen, die die Straße entlanglief und kurz vor dem Geschäft den Stein von sich warf, mit dem Lassek der Schädel zertrümmert worden war, so als habe sie erst in diesem Moment begriffen, dass sie ihn noch immer in Händen hielt.
    Doch eben der »gelbe Mai« war schuld daran, dass die Frau bis heute nicht identifiziert werden konnte. Denn aufgrund des vielen Blütenstaubs, der das Objektiv der Kamera wie ein gelber Schmierfilm überzogen hatte, war von der Frau nur wenig zu erkennen gewesen. Hinzu kam, dass die Kamera selbst von keiner besonders guten Qualität gewesen war, was die Auswertung der grobkörnigen Bilder zusätzlich erschwert hatte.
    Trotz aller Bemühungen des Fahndungsteams konnten die Bildauszüge, die man dem Video entnommen hatte, kaum digital aufgebessert werden. Man sah nur die schemenhafte Gestalt einer Frau, die Mantel und Kopftuch trug. Beides, so fand man später heraus, stammte aus dem Sortiment eines Kleidungsdiscounters – Massenware, hergestellt
in Bangladesch, wie sie zigtausendfach in der gesamten Republik verkauft wurde.
    So blieb dieser Fall ungeklärt. Zwar hatte es mehrere Hinweise gegeben, die sich jedoch alle als falsch erwiesen hatten. Nach wie vor fehlte von der Täterin jede Spur.
    Bei seiner nächtlichen Recherche hatte Thanner den Fahndungsaufruf von damals gefunden. Der Personenbeschreibung nach musste die Frau zwischen eins siebzig und eins achtzig groß und schlank gewesen sein. Außerdem wurde sie als sportlich-durchtrainiert beschrieben, immerhin hatte sie den schweren Pflasterstein in nur einer Hand getragen. Es war also denkbar, dass sie in einem Fitnessstudio trainierte oder anderenorts Kraftsport betrieb.
    Darüber hinaus wusste man nur noch, dass sie blondes langes Haar und eine schmale Gesichtsform hatte. Mehr war von ihrem Gesicht nicht zu erkennen gewesen, da die Aufnahme zu undeutlich und es zudem durch eine lange Strähne verdeckt gewesen war.
    Und ich weiß jetzt, wie sich ihre Stimme anhört und dass sie in Fahlenberg lebt , dachte Thanner. Vielleicht damals noch nicht, aber jetzt ist sie hier. Warum sonst wäre sie zu mir gekommen ?
    Er blieb vor dem Fenster stehen. Über dem Kirchhof dämmerte der Morgen in trübem Grau und verhieß einen weiteren Regentag.
    Der Pfarrer biss sich auf die Unterlippe. Irgendwo dort draußen war diese Frau. Eine gesuchte Mörderin, die unter einer schweren geistigen Störung litt. Und er hatte mit ihr

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