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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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gesprochen.
    »Was soll ich nur tun?«, flüsterte er in die Stille des Raumes und hörte das Zittern in seiner Stimme.
    Nichts, er konnte nichts tun. Weder mit anderen noch mit der Sünderin selbst durfte er im Nachhinein über ihre
Beichte sprechen. Das war das Gebot, das ihm das Beichtgeheimnis auferlegte. Sie hatte sich zu einer schlimmen Tat bekannt, und es lag an ihm, mit diesem Wissen klarzukommen. Denn im Grunde hatte sich diese Frau nicht ihm, sondern Gott anvertraut. Thanner war nur das Medium zwischen ihnen beiden gewesen.
    Nun wurde von dem Priester erwartet, dass er schwieg und auf Gott vertraute. ER würde die Sünderin auf den rechten Pfad der Einsicht leiten. Doch Thanners menschliche Seite sah das anders.
    Vielleicht hätte er auf Gott vertrauen können, wenn diese Frau im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen wäre – wenn sie sich über ihre Tat völlig im Klaren gewesen wäre und sie aufrichtig bereut hätte. Ja, dann hätte er es vielleicht akzeptieren und hoffen können, dass sie seinem Rat folgte und sich stellte. Aber diese Frau war krank. Sehr krank.
    Er rieb sich die Hände, diesmal nicht der Kälte wegen, sondern um etwas gegen sein Zittern zu tun.
    Was, wenn sie es wieder tat? Sollte er einfach nur abwarten und auf Gott vertrauen, dass sie sich rechtzeitig Hilfe holte, ehe es zu spät war?
    So wie es im Moment aussah, glaubte er nicht, dass sie sich aus freien Stücken stellen würde. Ebenso wenig glaubte er, dass sie sich Hilfe suchen würde.
    Was war mit dem Mann, von dem sie gesprochen hatte? Würde er ihr nächstes Opfer werden, wenn sie sich von ihm ebenfalls verraten fühlte – aus welchem Grund auch immer?
    Thanner blinzelte gegen das Brennen seiner Augen an. Sein Atem ging schwer und keuchend. Er hatte das Gefühl, als läge ein tonnenschweres Gewicht auf seiner Brust, das ihn zu erdrücken drohte.

    Wenn sie es wieder tut, bin ich schuld , dachte er. Weil ich es nicht verhindert habe, obwohl ich es hätte verhindern können . Ich würde mir mein ganzes Leben lang Vorwürfe machen müssen.
    Andererseits würde er ebenfalls eine schwere Sünde begehen, wenn er gegen sein Schweigegelübde verstieß. Ein solcher Verrat war die schwerste Sünde überhaupt, die ein Priester begehen konnte. Es wäre ein Vertrauensbruch, als würde er sich an dieser Frau vergehen. Nur was wog mehr, der Schutz einer reuigen Sünderin oder das Leben eines Unschuldigen?
    Er wusste, dass er sich diese Frage erst gar nicht stellen durfte. Die Gebote der Kirche waren in diesem Fall eindeutig. Das Beichtgeheimnis galt für alle Zeit, ganz gleich, was ihm anvertraut wurde. Notfalls musste er diese Geheimnisse sogar mit seinem Leben hüten, so wie einst der heilige Johannes Nepomuk, der wegen seines Schweigens vom böhmischen König mit Pechfackeln gefoltert und anschließend ertränkt worden war.
    Aber wenn ich damit möglicherweise weitere Menschenleben retten kann ?
    Er sah auf die Tageszeitung, die wie eine Anklageschrift vor ihm auf dem Küchentisch lag.
     
    JOURNALISTENMORD:
    NOCH IMMER KEINE NEUE SPUR
     
    verkündete die Schlagzeile.
    Zwar ging die Polizei einer Zeugenaussage nach, die von Nowaks Streit mit einer Frau auf dem Parkplatz hinter seinem Haus berichtete, aber so wie Thanner den Artikel verstand, suchte man in einer völlig falschen Richtung. Die Verdächtige, so hieß es, sei möglicherweise die Lebensgefährtin
eines Drogenbosses – nur dass sich deren Beschreibung entscheidend von dem unterschied, was Thanner von der tatsächlichen Mörderin gesehen hatte.
    Natürlich konnte Thanner abwarten, bis die Polizei den Irrtum selbst entdeckte und der wahren Täterin auf die Spur kam. Aber das würde noch einige Zeit dauern, zumal es dem Bericht zufolge wegen des Regens keine verwertbaren Spuren am Tatort gegeben hatte.
    Und was wäre, wenn diese Frau auch diesmal unentdeckt davonkam?
    Wieder kamen ihm ihre Worte in den Sinn. Sie hielt sich für Gottes Werkzeug und glaubte, dass ER sie beschützte.
    So jemand würde nicht aufhören. Sie würde wieder töten, wenn sie davon überzeugt war, dass ihr Opfer ihr keine andere Wahl ließ.
    Und irgendwo, sicherlich hier in Fahlenberg, gab es einen Mann, den sie sich als nächstes Ziel ausgesucht hatte.
    »Guten Morgen, Herr Pfarrer.«
    Edith Badtkes Stimme riss ihn so abrupt aus seinen Gedanken, dass er erschrocken zusammenfuhr. Seine Mitarbeiterin sah ihn mindestens ebenso erschrocken an.
    »Ich habe angeklopft«, sagte sie entschuldigend und

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