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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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geschickt hat«, sagte er, aber er konnte ihr ansehen, dass er sie damit nicht überzeugte. »Warum glauben Sie denn, dass mich die Polizei damit beauftragt hat?«
    »Weil Sie wollen, dass ich Ihnen von dieser Begegnung erzähle.«
    »Wem sind Sie denn begegnet?«
    Für einen kurzen Moment schien sie zu überlegen, dann kam ihre Antwort, knapp und überzeugt.
    »Einem Geist.«
    Jan spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. »Einem Geist ?«
    »Nun sehen Sie mich nicht so an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.« Sie machte eine abwehrende Handbewegung, aus der Empörung und Enttäuschung
zugleich sprachen. »Genauso haben auch die Polizisten reagiert. Sie halten mich für eine verrückte alte Schachtel, die nicht mehr klar im Kopf ist. Und jetzt schicken Sie mir auch noch einen Psychiater ins Haus.«
    »Frau Nowak, ich versichere Ihnen noch einmal, dass …«
    »Vielleicht haben Sie damit sogar ein bisschen Recht«, fiel sie ihm ins Wort. »Vielleicht bin ich ja wirklich nicht mehr ganz normal. Wenn man den Großteil seines Lebens im Dunkeln verbringen muss, wird man eben anders. Im Dunkeln hört und sieht man oft merkwürdige Dinge, sehr merkwürdige Dinge, und nicht alles davon kann man erklären. Aber die Frau, die Volker und ich gesehen haben, war wirklich da.«
    »Eine Frau?« Jan rutschte auf seinem Stuhl ein Stück nach vorn. »Was für eine Frau?«
    Agnes Nowak zuckte die Schultern, wobei sie schmerzhaft das Gesicht verzog. »Ich weiß es nicht. Man konnte sie ja kaum erkennen. Sie war da, und dann war sie wieder weg.« Sie sah ihn eindringlich an. »Glauben Sie denn an Geister?«
    Jan räusperte sich. »Wenn Sie mich so direkt fragen, nein.«
    »Das dachte ich mir schon«, sagte sie, und es klang nicht einmal enttäuscht. »Sie sind wohl kein besonders gläubiger Mensch, Dr. Forstner?«
    »Ich glaube an den gesunden Menschenverstand«, entgegnete Jan wahrheitsgemäß. »Anders könnte ich meinen Beruf gar nicht ausüben.«
    »Das wundert mich nicht.« Sie wandte den Blick von ihm ab und sah in das Dunkel des Raumes. Jan hatte den Eindruck, als würde sie sich damit von ihm entfernen. Als würde sie mit der Dunkelheit verschmelzen, die sich in
ihren Augen spiegelte. »Sie haben nie in die Finsternis geblickt, zumindest nicht wirklich. Man glaubt, dort sei alles schwarz in schwarz, aber je länger man sie betrachtet, desto mehr kann man in ihr sehen.«
    Ihr Gesicht hatte einen entrückten Ausdruck angenommen, was es erst recht wie eine Maske aussehen ließ. Und auch wenn sie weiter mit Jan sprach, schien sie doch mehr mit sich selbst als mit ihm zu reden.
    »Wissen Sie, früher war ich sehr religiös. Nun ja, die Religion ist eben die letzte Zuflucht der Schwachen und Verzweifelten – und ich war wegen meiner Krankheit sehr verzweifelt, wie Sie sich denken können. Anfangs hatte ich gebetet, Gott möge mich von meinem Fluch erlösen und mich heilen. Aber er tat es nicht. Also glaubte ich lange Zeit, er habe mir damit eine Prüfung auferlegt. Ich versuchte, einen Sinn in meinem Leiden zu sehen. Und dann kam auch noch diese verfluchte Arthritis hinzu.« Sie hob eine Hand und betrachtete ihre Finger, die wie dürre knorrige Äste aussahen. Als sie sie wieder in den Schoß sinken ließ, ballte sie eine Faust, was ihr sichtlich Schmerzen bereitete. »Aber als er mir dann auch noch meinen Mann nahm, begann ich ihn zu hassen. Was für ein krankes Wesen musste dieser liebe Gott sein? Machte es ihm vielleicht Freude, seine Geschöpfe mit Schmerzen, Krankheiten und Tod zu quälen und ihnen dabei zuzusehen?«
    Sie seufzte und schien einen Moment über diese Fragen nachzudenken, ehe sie weitersprach. »Irgendwann fragte ich mich dann, ob es sein konnte, dass es ihn womöglich gar nicht gab, so dass er weder daran schuld sein noch mir helfen konnte. Unter uns gesagt, denke ich das auch heute noch. Aber verraten Sie es nicht dem Pfarrer. Es wäre schade, wenn mich dieser nette junge Mann nicht mehr besuchen käme.«

    »Ich werde ihm kein Sterbenswort verraten. Versprochen. «
    Sie schien ihn nicht gehört zu haben, und falls doch, ließ sie es sich nicht anmerken. »Wie dem auch sei, auch wenn es keinen Gott gibt, ist da dennoch etwas. Wenn man lange genug im Dunkeln ist, spürt man es. Es gibt eine Welt jenseits unseres Verstandes. Es muss einfach so sein. Was sollte sonst aus unseren Gedanken werden – aus dem, was wir eine Seele nennen, oder, wie Sie, den ›Menschenverstand‹? Ich glaube fest daran,

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