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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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Betroffenen nicht einmal mehr
Kunstlicht. Soweit Jan wusste, war bis heute noch keine wirksame Therapie dagegen entdeckt worden. Nur die Vermeidung direkten Lichteinflusses konnte die Schmerzen verhindern.
    Mit zitternden Händen nahm Agnes Nowak die Teekanne und goss Jan ein. Er sah die deformierten Finger und Handgelenke, die der Grund für den süßlichen Salbengeruch sein mussten.
    »Aber die Schmerzen sind nicht das Schlimmste«, sagte sie. »Wirklich schlimm ist die Einsamkeit, die damit einhergeht. Niemand hält es lange im Dunkeln aus, erst recht nicht, wenn man es nicht muss . Als Kind hatte ich kaum Freunde, und das hat sich bis heute nicht geändert. Den meisten ist eine Person suspekt, die das Licht scheuen muss. Aber ich darf nicht klagen. Ich hatte einen liebenden Mann, der für mich da gewesen ist, und einen Sohn, der sich um mich gekümmert hat. Nicht jeder in meiner Situation kann dieses Glück erleben. Nur dass ich jetzt …« Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als sie dann wieder zu Jan sah, rann eine Träne durch das Furchennetz ihrer Wange. »Und Sie sind also ein Freund von meinem Volker?«
    »Nun ja, Freund ist vielleicht zu viel gesagt, aber wir hatten vor einiger Zeit einmal miteinander zu tun.«
    »Ja, er hatte über Sie geschrieben.« Sie wischte sich mit der Hand übers Gesicht und nickte. »Damals, als das im Wald passiert war. Dafür hat er Sie sehr bewundert, mein Volker. Er hat gesagt, dass Sie sehr mutig gewesen sind. Ein richtiger Held. Mein Volker hat Menschen sehr bewundert, die Mut zeigen. So war er ja auch selbst. Immer auf der Suche nach der Wahrheit. Die Wahrheit muss man immer ans Licht bringen, hat er gesagt, auch wenn man dafür Opfer bringen muss. Weil es unsere Pflicht ist, die
Lüge in dieser Welt zu bekämpfen.« Sie ließ ihre Hände in den Schoß sinken und seufzte. »Und jetzt hat ihm diese Suche nach der Wahrheit das größte Opfer abverlangt.«
    »Haben Sie denn eine Vermutung, wer es getan haben könnte?«
    »Das hat mich auch schon die Polizei gefragt.« Mit ihren arthritischen Händen nahm sie einen Keks aus der Glasdose und betrachtete ihn wie etwas völlig Fremdartiges. »Dieser Stark und sein Kollege, der gestorben ist.«
    Jan dachte an Kröger. Wie schnell sich doch Nachrichten vom Tod verbreiteten. Selbst zu Leuten, die kaum im Kontakt mit der Außenwelt standen.
    Agnes Nowak legte den Keks vor sich hin und machte eine hilflose Geste. »Aber ich konnte ihnen nicht helfen. Volker hat mir nie von seiner Arbeit erzählt. Wir haben über vieles gesprochen, aber nie über das, woran er gerade arbeitet. Mama, es ist besser, wenn du nichts darüber weißt, hat er immer gesagt. Er war ein guter Junge. Andere in seinem Alter sind verheiratet, haben Kinder und keine Zeit, sich um ihre alte Mutter zu kümmern, aber er war da anders.«
    Jan erinnerte sich, was Carla ihm einst über Volker Nowak erzählt hatte. Sie hatten über ihn gesprochen, nachdem Volker den Artikel über Jan geschrieben hatte. Damals hatte Carla gemeint, Volker sei ein merkwürdiger Kerl, einerseits aufgedreht und kindisch, aber dann auch wieder introvertiert und unnahbar.
    »Der hat ein Geheimnis, da gehe ich jede Wette ein«, hatte sie gesagt. Und nun saß Jan diesem Geheimnis gegenüber. Einer Frau, die ihren erwachsenen Sohn »mein Volker« und »einen guten Jungen« nannte.
    »Frau Nowak, ich bin hier, weil mich Ihr Sohn am Tag seines Todes angerufen hat. Er wollte sich mit mir treffen,
aber er sagte nicht, warum. Haben Sie vielleicht eine Ahnung, weshalb er mich sprechen wollte?«
    »Nein, er hat nichts zu mir gesagt. Aber ich weiß, dass er große Stücke auf Sie gehalten hat.«
    »Wussten Sie, dass Volker sich verfolgt fühlte?«
    »Nun ja, gesagt hat er nichts«, sagte sie und sah Jan mit ängstlicher Miene an. »Aber ich habe Augen, verstehen Sie? Ich habe gemerkt, dass er vor irgendetwas Angst hatte. Und als wir dann diese Begegnung hatten …« Sie unterbrach sich mitten im Satz, legte den Kopf schief und nickte Jan zu. »Sie haben Sie doch geschickt, nicht wahr? Geben Sie’s zu. Natürlich haben sie Sie geschickt. Deswegen sind Sie hier. Weil ich Ihnen von dem erzählen soll, was wir gesehen haben.«
    Nun sah sie Jan auf eine Art an, die ihm vertraut war. Er sah diesen Blick täglich, wenn er sich mit wahnhaften Patienten unterhielt – Leuten, die davon überzeugt waren, dass sie etwas wussten, das ihnen niemand glaubte.
    »Ich versichere Ihnen, dass mich niemand

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