Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
Vom Netzwerk:
dass etwas von uns bleibt, wenn wir körperlich schon längst nicht mehr sind. Und deshalb glaube ich auch an Erscheinungen wie diese Frau. Vielleicht klingt das Wort ›Geist‹ für Sie albern, aber lassen Sie es uns so nennen. In Ermangelung eines besseren Wortes. Denn ich schwöre Ihnen, mein Volker und ich haben einen Geist gesehen. Einen Vorboten seines nahen Todes.«
    Mit einem bedeutsamen Nicken lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und ließ das Gesagte wirken. Nur das Ticken der Standuhr war zu hören.
    Jan betrachtete die Frau mit einer Mischung aus Besorgnis und Mitleid. Zweifellos hatte die langjährige Krankheit ihr Denken beeinträchtigt und dazu geführt, dass sie im Dunkeln halluzinierte. Auch der Geist mochte möglicherweise nur in ihrer Vorstellung existiert haben, aber dennoch glaubte Jan, dass es auch einen realen Hintergrund gab. Immerhin hatte ihr Sohn kurz vor seiner Ermordung mit einer Frau gestritten.
    »Dieser Geist«, sagte er, »können Sie mir dazu mehr erzählen?«
    »Natürlich.« Sie saß starr in ihrem Stuhl. Im Zwielicht des Raumes wirkte ihr runzliges Gesicht wie das einer Toten. »Aber ich weiß nicht, ob ich das will. Sie müssen mich
doch ohnehin schon für verrückt halten, nicht wahr? Die Polizei hat mir ja auch nicht geglaubt.«
    Jan schüttelte entschieden den Kopf. »Frau Nowak, ich glaube Ihnen, dass Sie jemanden gesehen haben. Eine Frau, die Sie für einen Geist gehalten haben. Und ich wüsste gerne mehr darüber.«
    Sie lächelte und entblößte das unnatürliche Weiß ihrer Zahnprothese. »Das haben Sie jetzt aber sehr diplomatisch ausgedrückt. Dieser Polizist könnte noch von Ihnen lernen. Also gut, ich erzähle es Ihnen. Vielleicht werden Sie mir ja glauben.«

19
    »Mein lieber Felix, da hat Ihnen Gott eine schwere Prüfung auferlegt.«
    Bischof Hagen seufzte betroffen und lehnte sich auf die Lederunterlage seines wuchtigen Schreibtischs. Er war ein stattlicher Mann mit schütterem Haar und tiefliegenden Augen, die Felix Thanner nun besorgt musterten.
    »Das hat er wohl«, entgegnete Thanner und rieb sich die Schläfen. Die dunkle Wandtäfelung des großen Büros verströmte einen Geruch nach Holzpolitur, der ihm Kopfschmerzen und leichte Übelkeit bereitete. Doch sicherlich war auch seine Aufregung daran schuld. »Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll.«
    »Nun, aus weltlicher Sicht kann ich Ihr Dilemma durchaus verstehen«, versicherte der Bischof. »Sie fürchten, dass diese Person einem weiteren Menschen schaden könnte, und das lässt sich nach Ihrer Darlegung des Sachverhalts nicht ausschließen. Doch es liegt nicht an uns, in
Gottes Plan einzugreifen. Wir sind nur die Exekutive. Aber immerhin hat ER diese Frau zu Ihnen geführt. Das ist doch schon ein Anfang. Wer weiß, vielleicht zeigt sie bald auch die nötige Reue, ihre Schuld nicht nur vor dem Herrn zu bekennen.«
    »Daran habe ich berechtigte Zweifel, Exzellenz. Sie machte auf mich eher den Eindruck, als habe sie sich ihre Last nur von der Seele reden wollen. Wirkliche Einsicht oder gar Reue konnte ich dabei nicht erkennen.«
    Mit nachdenklichem Nicken ließ sich der Bischof in seinen Stuhl zurücksinken und seufzte schwer. »Nun ja, das ist bedauerlich, aber ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte. Ihnen muss doch klar sein, dass Sie das Beichtgeheimnis unter allen Umständen zu wahren haben, ganz gleich, ob die Sünderin ihre Schuld aufrichtig bereut oder nicht. Sie hat eine schwere Last auf Ihren Schultern abgeladen, Felix, aber tragen müssen Sie diese Last allein. Und mit Hilfe unseres Herrn, versteht sich.«
    »Aber was ist, wenn sie es wieder tut? Wenn sie in ihrem Wahn einen weiteren Mord begeht, den ich hätte verhindern können!« Thanner musste sich zusammennehmen, nicht laut zu werden. »Ich kann doch nicht tatenlos zusehen und hoffen, dass sie selbst zur Polizei geht.«
    »Wissen Sie denn wirklich, dass sie es getan hat? Haben Sie irgendeinen Beweis, außer ihrer Beichte?«
    »Nein, aber alles, was sie mir gesagt hat, war stimmig. Es gibt keinen Anlass, an ihren Worten zu zweifeln. Und wie ich Ihnen bereits erzählt habe, hat mich meine Recherche zu dem zweiten Mord geführt, den sie ebenfalls begangen haben muss.«
    »Sind Sie sich da so sicher, mein Sohn? Sagten Sie nicht, Sie halten diese Frau für … nun ja, geistig verwirrt?«
    »Schon, aber glauben Sie mir bitte, ich habe ihre Aussagen
nachgeprüft. Ich bin mir absolut sicher, dass sie die Wahrheit gesagt

Weitere Kostenlose Bücher