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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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und jetzt willst du mich ins Irrenhaus schicken? Das ist gemein, Jan, hundsgemein ! Das macht mich wütend, verstehst du? Sehr, sehr wütend!«
    »Jana, ich …«
    »Nein!«, kreischte sie. »Ich werde nicht dulden, dass du mich so behandelst. Du kannst mich nicht einfach so als Irre abstempeln.«

    Obwohl sie es freilich nicht sehen konnte, hob er abwehrend die freie Hand. »Jana, bitte hör mir zu. Das lag nicht in meiner Absicht. Ich wollte doch nur …«
    »Psssst«, zischte es aus dem Hörer. »Ist schon gut, Liebling.« Wieder schien jemand einen Schalter bei ihr umgelegt zu haben, so sanft und warm, wie ihre Stimme auf einmal wieder klang. »Tut mir leid, dass ich mit dir geschimpft habe. Das wollte ich nicht. Ich will doch keinen Streit mit dir. Ich werde nur manchmal ein wenig … na ja, ein wenig aufbrausend eben. Vergibst du mir?«
    Jan atmete auf. »Kein Problem, wir alle verlieren hin und wieder mal die Beherrschung. Das ist …«
    »Danke«, unterbrach sie ihn, und es war zu hören, dass sie nun erleichtert lächelte. »Danke, Jan. Du verstehst mich. Ich habe heute einfach keinen guten Tag, weißt du. Die Nacht war schon schlimm gewesen, und dann … Diese Schlampe, die dich gestern belästigt hat, sie war ständig in meinem Kopf.«
    So sehr, dass du mir Angst machen musstest , dachte Jan und fragte: »Hattest du wieder Alpträume?«
    »Ja … das heißt nein.« Sie klang verwirrt. »Es waren keine Träume, glaube ich. Träume sind irgendwie anders. Nein, ich denke, es ist wirklich passiert. Jan, ich glaube, ich bin böse gewesen. Ich habe etwas getan, das mir sehr leidtut. Aber ich konnte einfach nicht anders. Ich …«
    Jans Puls beschleunigte sich. Vielleicht war dies nur ein weiteres ihrer kranken Spiele, aber etwas in seinem Innern sagte Jan, dass dem nicht so war.
    Jan hatte das Wohnheim um kurz nach zehn verlassen.
    Die Nacht war schon schlimm gewesen …
    Was meinte sie damit?
    »Warst du bei ihr?«

    Wieder das Rascheln. »Ich muss jetzt auflegen, Jan. Wir sprechen ein anderes Mal, ja?«
    »Jana, sag mir, was du getan hast!«, schrie er sie an. »Was heißt, du bist böse gewesen?«
    »Ich liebe dich. Vergiss das nie.«
    »Jana, warte!«
    Ein Klicken, dann tutete das Freizeichen.
    Fluchend unterbrach auch Jan die Verbindung, woraufhin das Telefon wieder zu klingeln begann.
    »Jana?«
    »Was ist denn los? Bei dir ist ständig besetzt.« Es war Franco. Noch bevor Jan etwas antworten konnte, fragte er: »Hat man es dir schon gesagt?«
    » Wer soll mir was gesagt haben?«, fragte Jan und spürte, wie ihm flau wurde.
    Was er hörte, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen.
     
    Als Jan die Intensivstation des Fahlenberger Stadtklinikums betrat, wurde er bereits von Franco erwartet.
    Sein Kollege saß vor der Tür zu Julias Zimmer und starrte mit ausdrucksloser Miene auf den Linoleumboden. In der blauen Schutzkleidung, die für alle Besucher vorgeschrieben war, wirkte der Italiener ungesund bleich, als würde er jeden Augenblick vom Stuhl fallen. Als er Jan auf sich zukommen sah, erhob er sich langsam.
    »Franco, wie geht es ihr?«
    Francos Augen waren gerötet. Er kämpfte um Fassung.
    »Sie ist bei Bewusstsein, kann sich aber an nichts erinnern«, sagte er leise. »Offenbar war sie völlig eingequetscht. Der Arzt meinte, als er das Unfallfoto sah, konnte er kaum glauben, dass sie das überlebt hatte. Jan, sie …« Er schluckte. »Julia hat sehr viel Pech gehabt. Man musste
ihr einen Arm amputieren, und die Frakturen des anderen sind äußerst kompliziert. Aber da ist noch etwas …«
    »Noch etwas?«
    Franco nickte. »Sie hat ein spinales Trauma. Drei Lendenwirbel sind gebrochen.«
    »O nein!« Jan stieß den Atem aus und sah zur Decke. »Soll das heißen, sie ist …«
    »Höchstwahrscheinlich wird sie querschnittsgelähmt sein, ja.«

36
    »Danke, dass du gekommen bist.«
    Julia sah zu Jan auf. Ihr Mund verzog sich zu etwas, das wohl ein tapferes Lächeln sein sollte. Ihr Gesicht war durch zahlreiche Blutergüsse entstellt. Das rechte Lid war blauviolett angeschwollen, und das Wenige, das von ihrem Auge darunter zu erkennen war, blutrot verfärbt. Mehrere Schürfwunden führten über den Nasenrücken und ihre Stirn und verschwanden unter der Bandage, aus der seitlich Strähnen ihres blonden Haars hervorlugten.
    Doch es waren nicht die Wunden und Hämatome, die Jan erschreckten, auch nicht der verbundene Armstumpf und der gebrochene zweite Arm, der unter einer dicken Gipsschicht nur zu erahnen

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