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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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in einem Alptraum bewegen, aus dem er nicht freikommen konnte. Ständig hatte er sich gefragt, ob die Frau vielleicht wieder vorbeigekommen war, während er auf dem Friedhof seinen Verpflichtungen nachkam? So wie am Tag zuvor, als sie plötzlich im Eingang der Kirche gestanden hatte.
    Während der Beerdigung hatte er dann einen heftigen Druck auf der Brust verspürt. Der Anblick des Sarges war ihm unerträglich gewesen.

    Ich weiß, wer seine Mörderin ist , hätte er den Trauernden am liebsten zugerufen, statt nur einen Nachruf auf Nowak zu verlesen. Ja, ich weiß es! Sie hat mit mir gesprochen. Aber ich darf es euch nicht sagen.
    Als er dann endlich für sich war und nur den Wind unter dem Kirchendach heulen hörte, hatte er mit schweißnassen Händen und pochendem Herzen die Aufzeichnung abgerufen und mehr als eine halbe Stunde auf den Monitor gestarrt.
    Nun klappte er den Laptop zu und lehnte sich vor Enttäuschung seufzend zurück.
    Nichts. Wieder nichts.
    Die Kamera hatte weiterhin zuverlässig ihren Dienst getan und sämtliche Personen in der Kirche aufgezeichnet. Im Schnelldurchlauf hatte Thanner zuerst den Kunstschlosser Seif beobachtet, der nun endlich das fehlerhafte Schloss ausgewechselt hatte. Wenig später waren Edith Badtke und Bruni Kögel erschienen, und für die nächsten vierzig Minuten – die in beschleunigter Wiedergabe kaum ein Zehntel der Zeit dauerten – hatten die Pfarrsekretärin und die Floristin den Blumenschmuck am Altar erneuert. Danach folgten die Vorbereitungen für Nowaks Aussegnungsgottesdienst und der Gottesdienst selbst.
    Doch abgesehen davon war niemand zu sehen gewesen. Nur das statische Bild des Kirchenschiffs, über dem die Ziffern des Zeitzählers dahinrasten. Minuten, Sekunden und Millisekunden, in denen nichts geschehen war.
    Dabei hatte Thanner ein paarmal die schreckliche Angst beschlichen, er werde jeden Moment dieses Ding aus seinem Traum wiedersehen. Wie es auf die vorderste Bankreihe zukroch, um dort auf ihn zu lauern. Jenes Wesen, das vortäuschte, eine Frau zu sein, bis man ihm zu nahe kam und sein wahres Antlitz sah.

    Dieses Maul … Dieser zähnefletschende Abgrund … Dieser Höllenschlund! Mein Schuldgefühl, das mich zu verschlingen droht, weil ich nichts dagegen tun kann.
    Bei der Erinnerung an den Traum begann er wieder zu zittern. Er fühlte den kalten Schweiß auf seiner Stirn und schalt sich einen Narren. Seine Nerven begannen ihm übel mitzuspielen, und Thanner betete, all das möge endlich ein Ende finden. Wie lange sollte er denn noch mit diesem Wissen leben, das ihn in Alpträumen heimsuchte und quälte, während er hilflos abwarten musste, bis sich ihm diese Wahnsinnige zeigte?
    Falls sie sich ihm je wieder zeigen würde.
    »Komm schon«, flüsterte er der Kamera zu. »Komm endlich! Ich bin hier! Ich warte auf dich!«

40
    Gleich nachdem er zu Hause angekommen war, hatte Jan in der Klinik angerufen und sich krankgemeldet. Dort würde Jana nicht auftauchen, also musste er es anders versuchen.
    Er hatte die Gardinen des Wohnzimmerfensters abgehängt und sämtliche Topfpflanzen beiseitegeräumt, um sich freien Blick auf die Straße zu verschaffen. Dann hatte er einen seiner beiden Lesesessel zum Fenster gerückt, und seither saß er da, das Telefon in Griffweite, beobachtete und wartete.
    Er hasste es zu warten, aber gleichzeitig half es ihm, seine maßlose Wut auf die Frau zu bändigen, die sich Jana nannte. Noch schwerer fiel es ihm jedoch, Julias Bild aus
dem Kopf zu bekommen. Den flehenden Blick in ihren Augen, als sie ihn gebeten hatte, sie zu erlösen.
    Er musste sich beherrschen, sich auf seine professionellen Tugenden besinnen, musste Distanz gewinnen, damit sein Löffel lang genug war für das Essen mit diesem Teufel.
    Nun beobachtete er alles, was vor dem Fenster vor sich ging, atmete langsam und gleichmäßig und suchte einen inneren Ruhepunkt.
    Sie würde kommen und nachsehen, was er tat, dessen war er sich sicher. Erotomanie war eine obsessive Sucht, und darauf musste er jetzt bauen. Janas Wahn würde sie zwingen, seine Nähe zu suchen. Inzwischen genügten ihr die imaginären Begegnungen in ihrer Wahnwelt nicht mehr, wie ihm ihre Anrufe und die Beobachtung seines Hauses bestätigten. Es war wie bei einem Drogensüchtigen, der beständig die Dosis erhöhen musste, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
    Nur hin und wieder eilten Passanten vor seinem Haus vorbei. Durch die Regenschleier, die unaufhörlich niedergingen, glichen sie grauen

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