Dunkler Wahn
du könntest mir eine Falle stellen?«
Thanner schluckte. Leugnen war nun zwecklos.
»Es war …«, begann Thanner, und seine Stimme war nur ein heiseres Krächzen, »es war keine böse Absicht. Glauben Sie mir bitte. Ich möchte Ihnen helfen.«
»Helfen? So so. Indem du mir nachspionierst?« Sie lachte höhnisch.
»Nein, ich …«
»Soll ich dir sagen, für was ich das halte? Du warst neugierig , Herr Pfarrer. Du wolltest wissen, wer ich bin. Weil du Angst hast wegen dem, was ich dir erzählt habe.«
»Ja«, sagte Thanner und nahm all seinen Mut zusammen. »Ja, ich habe Ihnen nachspioniert. Ich habe die Kamera Ihretwegen aufgestellt, weil ich wissen wollte, wer Sie sind. Aber ich wollte Ihnen gewiss nicht schaden.«
»Ach nein?«
»Wie ich schon sagte, ich wollte Ihnen helfen, und das will ich nach wie vor«, entgegnete Thanner und war überrascht, wie selbstsicher er dabei klang. »Sie haben einen Menschen getötet und Gott dafür um Vergebung gebeten. Aber er kann Ihnen nur dann vergeben, wenn Sie sich stellen. Ich kann Ihnen dabei helfen und Sie auf diesem schweren Weg begleiten. Doch das geht nur, wenn Sie aufrichtig …«
»Wer sagt denn, dass Gott mir nicht schon längst vergeben hat?«, unterbrach sie ihn. »Er ist viel barmherziger als du und deinesgleichen in eurer maßlosen Selbstgerechtigkeit. Glaub mir, meine Bitte um Erlösung hat er längst erhört. Und er hat mich heute für meine Reue belohnt. «
»Nein, Sie irren sich«, widersprach ihr Thanner entschieden. »Sie gehen den falschen Weg.«
» Du irrst dich!«, zischte sie. »Du hast geglaubt, ich komme wieder, um dir weitere Sünden zu beichten und deiner Kamera vor die Linse zu laufen, damit du mich an die Polizei verraten kannst. Aber deswegen bin ich nicht gekommen. Diesmal bin ich deinetwegen hier.«
Reflexartig umklammerte Thanner das Gebetsbuch fester, wie einen Schild, mit dem er sich gegen einen Angreifer schützen konnte.
»Meinetwegen?« Er bemühte sich, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. »Warum denn meinetwegen?«
»Um dich zu warnen«, sagte sie langsam und bedrohlich. »Hör auf, mir nachzustellen. Du wirst niemandem erzählen, wer ich bin und was ich getan habe. Das wird für immer zwischen uns beiden bleiben. Es ist unser Geheimnis. Andernfalls brennst du im Höllenfeuer. Hast du das verstanden?«
»Von mir wird niemand etwas erfahren«, versicherte er ihr. »Aber ich hoffe dennoch, dass Sie meine Hilfe annehmen werden. Wenn nicht jetzt, dann vielleicht später. Ich bin jederzeit für Sie da.«
»Nein«, sagte sie leise. »Du kannst mir nicht helfen. In der realen Welt kann ich nur mir selbst helfen.«
»Glauben Sie mir, Sie täuschen sich«, beharrte Thanner. »Niemand ist vor Gott allein. Jedem kann geholfen werden.«
»Mir nicht«, widersprach sie ihm aufs Neue. »Und willst du wissen, warum?«
»Ja, sagen Sie es mir.«
»Ich sage es dir nicht«, flüsterte sie, »ich zeige es dir. Sieh genau hin.«
Mit diesen Worten näherte sie sich der Trennwand.
»Sieh her, du heiliger Mann, dann wirst du verstehen!«
Durch das Dunkel der Nachbarkabine sah Felix Thanner ihr Gesicht auf das Gitter zukommen. Anfangs noch schemenhaft, dann immer deutlicher.
Für einen irrwitzigen Augenblick glaubte er, er würde das weit offene Maul aus seinem Alptraum zu sehen bekommen. Spitze weiße Fänge unter dem blonden Haar. Sie würden das hölzerne Gitter zermalmen, ihn packen und für alle Ewigkeit in die Tiefen der Hölle reißen.
Doch was er schließlich zu sehen bekam, war schlimmer, als es seine Alpträume jemals sein konnten. Weitaus schlimmer.
»Komm mir nie wieder zu nahe, hörst du?«, sagte die Gestalt hinter dem Gitter. »Nie wieder!«
Schreiend sprang Felix Thanner auf, nur um gleich darauf zusammenzubrechen. Er krampfte und glaubte ersticken zu müssen, dann schwanden ihm die Sinne. Während er in die Düsternis der Ohnmacht entglitt, hörte er das Wesen davongehen.
42
Eine Viertelstunde nach dem Telefonat war alles vorbereitet. Jans Herz schlug schwer, als er in seinem Wohnzimmer stand und sich prüfend umsah.
Auf dem Couchtisch standen eine brennende Kerze, zwei Rotweingläser und eine Dekantierkaraffe, in die Jan eine Flasche Merlot gefüllt hatte.
Den Wein hatte er mit Diazepam aus einer der zahlreichen Musterpackungen in seiner Arzttasche versetzt. Die Dosis des Psychopharmakons hätte ausgereicht, um ein Pferd in Tiefschlaf zu versetzen. Im schlimmsten Fall – je nachdem, wie viel Wein
Weitere Kostenlose Bücher