Dunkler Wahn
… Natürlich freue ich mich«, stammelte
Jan und sah sich auf der Straße um. Außer der dicken Katze, die auf dem Fußabstreifer seines Nachbarn lag und den Kopf zu ihnen wandte, war niemand zu sehen. »Es ist nur wirklich sehr überraschend.«
Scheinwerferlichter näherten sich, und gleich darauf erkannte Jan einen Kleinwagen.
»Was ist?«, fragte Carla. »Willst du mich hier draußen stehen lassen?«
Der Kleinwagen kam näher. Er fuhr durch eine Pfütze am Straßenrand. Wasser spritzte auf.
Jan blieb in der Tür stehen und versperrte Carla weiterhin den Weg. Wenn er sie jetzt ins Haus ließ, war es vorbei. Er würde ihr alles erklären und Carla dann verstecken müssen. Die Frage war, ob sie sich darauf einlassen würde – und selbst wenn sie es tat, reichte die Zeit dafür nicht. Jana war längst überfällig. Sie konnte jeden Moment hier auftauchen. Ja, vielleicht saß sie genau in diesem Moment in dem Wagen, der sich ihnen näherte.
»Was hältst du davon, wenn wir uns später in deiner Wohnung treffen?«, schlug er vor. »Ich bin vor lauter Arbeiten noch nicht zum Aufräumen gekommen. Da drin sieht es aus, als sei ein Sturm durchs Haus gefegt. Und du wirst dich nach der langen Fahrt bestimmt erst mal frischmachen wollen, nicht wahr?«
Sie sah ihn verwundert an. »He, was ist los mit dir? Es macht dir doch sonst nichts aus, wenn bei dir Chaos herrscht? Keine Angst, ich werde schon nicht aufräumen.«
Nun war der Kleinwagen auf ihrer Höhe angelangt, und Jan las den Aufdruck eines Autoverleihs. Mit pochendem Herzen versuchte er die Person am Steuer zu erkennen, doch es war zu dunkel. Dann hielt der Wagen.
Verdammt , schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht ist jetzt alles zu spät, aber ich muss es trotzdem versuchen .
»Carla, bitte. Ich habe hier noch zu tun. Ich erkläre es dir später, ja? Und ich werde uns eine gute Flasche Sekt organisieren. Dann feiern wir deine Rückkehr und reden.«
»Nein, kein Sekt.« Sie lächelte vielsagend. »Wenn schon, dann Champagner.«
»Natürlich, versprochen.«
Die Fahrertür des Wagens öffnete sich. Eine junge Frau stieg aus. Es war Corinna Faller, die vor einem halben Jahr zu ihrem Freund gezogen war. Dem Mietwagen nach zu urteilen, musste ihr alter Polo wohl den Geist aufgegeben haben. Sie sah kurz zu den beiden herüber und nickte grüßend.
Das ist definitiv nicht Jana , dachte Jan erleichtert und sah zu, wie Corinna durch den Regen lief und mit ihrer Katze im Haus verschwand.
»Na schön, du alter Geheimniskrämer«, seufzte Carla. »Ich sehe ein, dass ich gerade ungelegen komme. Aber mach nicht mehr so lange. Deine Arbeit läuft dir nicht weg. Und ich denke, wir haben etwas sehr Wichtiges zu besprechen, oder?«
»Ich komme, sobald ich hier fertig bin«, versprach er.
Sie küsste ihn. Ein langer, leidenschaftlicher Kuss, und plötzlich spürte er ihre Hand an seinem Schritt.
»Ich hab dich vermisst«, flüsterte sie ihm zu. »Beeil dich, dann findest du mich vielleicht noch in der Badewanne.«
Damit ließ sie von ihm ab und ging zu ihrem Wagen zurück. Sie warf ihm eine Kusshand zu, stieg ein und fuhr davon.
In den Wochen ihrer Trennung hätte Jan für einen Moment wie diesen viel gegeben. Er hatte so sehr darauf gehofft, dass Carla zu ihm zurückkehren würde, um mit ihm einen Neuanfang zu wagen. Nun kam er sich schäbig vor, sie einfach wieder weggeschickt zu haben.
Aber die Dinge hatten sich inzwischen geändert. Jetzt gab es eine Person, die ihn bedrohte – und die auch Carla bedrohen würde, wenn er nichts dagegen unternahm.
Noch einmal ließ er den Blick die Straße auf und ab schweifen. »Nun komm endlich«, flüsterte er. »Ich bin bereit.«
Dann ging er zurück ins Haus.
Er setzte sich wieder auf das Sofa, ertastete das Pfefferspray unter dem Kissen und wartete.
43
Statt auf den Mietwagen hätte Jan auf das andere Ende der Straße achten sollen, dann hätte er Jana im Licht der Scheinwerfer gesehen.
Mehr als eine Viertelstunde hatte sie dort gestanden und gezögert. Sie hatte sich unter einen freien Carport gestellt und Jans Haus durch die Regenschleier beobachtet – unschlüssig, ob sie seiner Einladung wirklich folgen sollte oder nicht.
In ihr hatte ein gewaltiges Durcheinander geherrscht. Einerseits hatte sie eine unbeschreibliche Freude empfunden, ihm nun endlich in der realen Welt gegenübertreten zu können. Sie hatte eigens dafür Blumen mitgebracht, die ihm sicherlich gefallen hätten – ein Strauß roter Tulpen, den
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