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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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diese Jana trinken würde – konnte er sie damit umbringen, warnte der Arzt in ihm. Je nach ihrer körperlichen Verfassung könnte sie einen Atemstillstand oder einen Herzkreislaufkollaps erleiden.
    Doch der andere Jan – der Jan, der vor seiner gelähmten und verstümmelten Exkollegin gestanden und Volker Nowaks Leiche mit dem gebrochenen Hals gesehen hatte – reagierte auf diese Warnung nur mit einem Schulterzucken. Dann würde er eben den Notarzt rufen. Alles Weitere würde sich zeigen. Immerhin musste er sich schützen, bis er Janas Geständnis hatte und die Polizei verständigen konnte, und der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel.
    Und falls sie wider Erwarten keinen Wein trinken würde, hatte er sich noch auf weitere Weise abgesichert. Unter einem der Sofakissen lag eine Dose Pfefferspray. Nur für den Fall, dass Jana einen ihrer unberechenbaren Wutanfälle haben sollte. Sie hatte durch bloßen Körpereinsatz einen Mann getötet – wahrscheinlich sogar mehr als einen – , also war diese Vorsichtsmaßnahme keineswegs übertrieben. Zumindest gab ihm das Spray ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit.
    Er schaltete die Deckenlampe ein, und vor der großen Fensterscheibe wurde es schwarz. Statt der dunklen Regenszenerie auf der Straße war nun sein Spiegelbild zu sehen. Jan hatte sich umgezogen, trug eine Jeans und dazu
ein Hemd und ein Sportsakko, in dessen Innentasche er ein Diktiergerät verborgen hatte. Sein gutes, altes Diktiergerät, das ihm schon einmal Glück gebracht hatte.
    Hoffentlich auch dieses Mal.
    Schließlich hatte er noch das holzige Aftershave aufgetragen, das Carla ihm geschenkt hatte. Sie hielt diesen Duft für ›äußerst maskulin‹, worüber sie sich beide köstlich amüsiert hatten, und heute würde es passen.
    Immerhin habe ich ein Date , dachte er und lächelte seinem dunklen Spiegelbild finster zu.
    Dann wandte er sich vom Fenster ab, griff wahllos ein Buch aus dem Regal neben dem Sofa und ließ sich nieder.
    Nun saß er da wie auf einem hell erleuchteten Präsentierteller.
    Komm, mein Fisch. Beiß an!
    Geistesabwesend blätterte er in dem Buch. Es war die deutsche Erstausgabe von Goldings Herr der Fliegen , die noch aus dem Nachlass seines Vaters stammte. Jan überflog die Seiten, ohne zu erfassen, was er las. Alle seine Sinne waren auf die Eingangstür gerichtet, an der leise der Abendwind rüttelte.
    Komm schon, Jana! Wo bleibst du?
    Sie hatte gesagt, sie müsse noch etwas erledigen. Was hatte sie damit gemeint? Nun, vielleicht würde sie es ihm schon bald erzählen.
    Jan stellte sich weiter lesend und wurde schließlich von der Stelle gefangen, an der Jack und Ralph über das Tier auf dem Feuerhügel diskutieren. Der aufbrausende Jack, der das Tier jagen und töten will, und der rationale Ralph, der es vorzieht, sich und die anderen Jungen in sicheren Abstand zu der unbekannten Gefahr zu bringen. Freuds Es und Ich im Kampf um die Oberhand.
    Ebenso wie ich , dachte Jan. Und nun bin ich Jack, der Jäger .
    In diesem Moment klingelte es an der Tür. Jan schreckte hoch, als habe man ihm einen Stromschlag versetzt.
    Ruhig bleiben , ermahnte er sich. Bleib ganz ruhig. Sei wachsam, und dir wird nichts geschehen .
    Er sammelte sich und hob das Buch vom Boden auf, das er vor Schreck hatte fallen lassen. Behutsam stellte er es ins Regal zurück, dann straffte er sich und ging zur Tür.
    Als er nach der Klinke griff, kamen ihm Janas Worte wieder in den Sinn.
    Nie hat es mir Glück gebracht, wenn ich mich anderen gezeigt habe. Sie schrecken alle vor meinem Äußeren zurück, ohne mein Inneres zu sehen.
    Jan rief sich sein Versprechen in Erinnerung, sich nicht von ihr abzuwenden. Er durfte sich nicht erschrecken lassen.
    Ganz gleich, was du jetzt sehen wirst, reiß dich zusammen. Vielleicht ist sie entstellt, vielleicht auch einfach nur fett und hässlich wie die Nacht. Das darf jetzt keine Rolle spielen.
    Er schluckte, bemühte sich um ein freundliches Lächeln und öffnete die Tür.
    Augenblicklich schoss ihm eine Gestalt entgegen und fiel ihm um den Hals.
    »Überraschung!«
    »Gott!«, stieß Jan erschrocken hervor, und sie ließ von ihm ab.
    »Ein einfaches Carla hätte genügt«, grinste sie.
    »Carla, was um alles in der Welt …« Fassungslos sah er sie an. »Ich dachte, du kommst erst in ein paar Tagen zurück ?«
    »Ich hab’s mir anders überlegt. Das darf ich, weil ich berühmt bin.« Sie lachte, wurde jedoch gleich wieder ernst. »Freust du dich denn nicht?«
    »Ob ich mich

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