Dunkler Wahn
bei ihm klingelten. Kein aufdringliches Parfüm, sondern der Geruch nach Regen und noch etwas.
Holz oder Moos , dachte Hofmann. Ja, sie riecht wie nach einem Waldspaziergang .
Doch das war ihm einerlei. Wichtiger war ihm, dass sie keinen Kerl im Schlepptau hatte. Dann blieb ihm hoffentlich Ärger erspart, den er bei Paaren stets befürchtete, wenn sie erst spätabends bei ihm auftauchten.
»Sie wünschen?«, fragte er.
Neben ihm erklang ein leises Knurren.
»Gib Ruhe, Othello!«
Der Hund verstummte.
»Ein Zimmer für zwei Nächte«, sagte die Frau.
Ihre Stimme klang rau und heiser, als sei sie erkältet. Oder als habe sie sich die Seele aus dem Leib geschrien , dachte Hofmann. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand nach einem heftigen Ehestreit bei ihm Zuflucht suchte. Und meistens waren es dann Frauen.
Hofmann nannte ihr den Preis und hörte daraufhin das Rascheln von Geldscheinen auf dem Tisch. Er hob die Scheine dicht vor die Augen, stellte fest, dass der Betrag stimmte, und reichte ihr den Zimmerschlüssel.
»Nummer neunzehn«, sagte er. Das war eins von den drei Zimmern, die bei diesem Wetter trocken blieben. Die beiden anderen hatte er noch nicht aufgeräumt. »Falls Sie Gepäck haben, es gibt auch einen Hinterausgang zum Parkplatz im Hof. Dann müssen Sie nicht so weit durch den Regen. Der Schlüssel passt auch dort. Frühstück kann ich nicht anbieten, aber zwei Straßen weiter ist ein günstiges Café.«
»Gut«, sagte die Frau, und wieder begann Othello zu knurren. »Ihr Hund scheint mich nicht zu mögen.«
»Ach, das müssen Sie ihm nachsehen. Er ist Fremden gegenüber immer ein wenig skeptisch«, log Hofmann.
Er konnte ihr ja schlecht sagen, dass Othello nur auf
wenige Leute mit Knurren reagierte. Das Tier hatte einen guten Instinkt für Menschen, und mit dieser Frau schien irgendetwas nicht zu stimmen. Auch Hofmann konnte das spüren. In ihrer Nähe kam es ihm vor, als stünde er dicht neben einem Strommast. Sie schien mit Aggression geradezu aufgeladen zu sein, auch wenn sie es in ihrer Stimme zu verbergen versuchte. Allein schon die Art, mit der sie ihm das Geld auf den Tresen gelegt hatte, war vielsagend gewesen.
Hätte nur noch gefehlt, dass du mit der flachen Hand draufgeschlagen hättest. Wahrscheinlich sind bei dir zu Hause vorhin noch die Fetzen geflogen , dachte er, ließ es sich jedoch nicht anmerken. Was ging es ihn an? Hauptsache, sie zahlte anstandslos und bar.
»Na, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, Frau …«
»Weller«, entgegnete sie. »Carla Weller.«
TEIL 3
LEIDENSCHAFT
»Er schrie in einem Flüstern einem Bild, einem Gesicht zu – schrie es zweimal, wenn es auch kaum lauter klang als ein Hauch: ›Das Grauen! Das Grauen!‹«
»Herz der Finsternis« JOSEPH CONRAD
46
Als Carla erwachte und neben sich tastete, fand sie die zweite Betthälfte leer vor. Die Decke war zurückgeschlagen und die Matratze kalt.
Verschlafen blinzelte sie zum Wecker und stellte überrascht fest, dass bereits später Vormittag war. Himmel, sie hatte wie eine Tote geschlafen und nicht einmal gehört, als Jan gegangen war.
In der Küche fand sie eine Kanne Kaffee und eine Notiz vor. Jan bedankte sich für letzte Nacht und freute sich auf den heutigen Abend.
Sie setzte sich an den Küchentisch und betrachtete nachdenklich seine Nachricht. An anderen Tagen hätte sie sich darüber gefreut – und ganz besonders jetzt, wo ihre Beziehung eine neue Qualität für sie beide zu bekommen schien –, doch diese Notiz las sich so eilig und beiläufig hingeschrieben, als sei er in Gedanken ganz woanders gewesen.
Irgendetwas bedrückte ihn, das spürte sie deutlich, und es musste etwas sein, das nichts mit ihnen beiden zu tun hatte. Als sie ihn gestern Nacht danach gefragt hatte, war er ihr ausgewichen. Er hatte von einem schwierigen Fall gesprochen, zu dem er Nachforschungen hatte anstellen müssen, weswegen er auch erst so spät hatte nachkommen können. Doch Carla hatte den Eindruck, dass dies – wenn überhaupt – nur ein Teil der Wahrheit war.
Für einen kurzen Moment kam ihr der Gedanke, Jan könnte in ihrer Abwesenheit eine andere kennengelernt
haben. Doch sie verwarf ihn sofort wieder. Kurz nachdem er gestern zu ihr gekommen war, hatten sie sich so innig geliebt wie schon lange nicht mehr. Da war so viel Leidenschaft in seinen Berührungen gewesen, mehr noch als in ihrer Anfangszeit, die ihr wie ein Glücksrausch erschienen war. Das hätte er nicht getan, wenn es eine andere
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