Dunkler Wahn
gegeben hätte. Nicht der Jan Forstner, den sie kannte.
Es musste etwas anderes sein. Möglicherweise Probleme mit der neuen Jugendstation, für die er sich so sehr einsetzte? Gestern war ihr nicht mehr nach Reden zumute gewesen – nicht, nachdem sie eine halbe Flasche Wein getrunken hatte, bis er endlich aufgetaucht war. Sie hatte einfach nur seine Gegenwart genießen wollen, nachdem ihr in der Zeit ihrer Trennung klargeworden war, wie sehr sie ihn brauchte. Das hatte sie nicht durch Reden zerstören wollen. Aber heute Abend würde sie ihn fragen. Und vielleicht würde sie ihm dann von ihrem neuen Buchprojekt erzählen, für das ihr ein Verleger eine unverschämt hohe Summe angeboten hatte. Ein Projekt, das auch Jan gefallen würde, dessen war sie sich sicher.
Es klingelte an der Tür. Carla ging zur Gegensprechanlage, wo sich die Stimme einer Frau meldete.
»Hallo? Frau Weller? Man hat mir gesagt, dass der rote Mini Cooper in der Tiefgarage Ihnen gehört. Ist das richtig? «
»Ja, warum?«, fragte Carla. Die Ankündigung verhieß nichts Gutes.
»Es ist mir schrecklich unangenehm, aber ich habe beim Ausparken leider Ihr Auto gerammt. Die Parklücke war so eng, und ich hab wohl den Abstand falsch eingeschätzt. «
Carla verdrehte die Augen. Die Parklücke war eng ? Die Tiefgarage ihrer Wohnanlage war so großzügig geplant,
dass man einen Kleinlaster darin hätte einparken können, wenn es nötig gewesen wäre. Sofern man einparken konnte .
»Au weia«, seufzte sie. »Warten Sie kurz. Ich komme runter.«
Hastig zog sie sich etwas über, steckte ihr Handy ein, um notfalls die Polizei zu rufen, falls es Ärger gab, und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. Sie hoffte, es würde nur eine Delle sein. Ihr Cabrio war zwar nicht mehr das neueste Modell, aber sie hing an ihm.
Als sich die Tür des Aufzugs öffnete, fand sie die Tiefgarage verlassen vor.
Na prima. Wahrscheinlich wartet diese Fahrkünstlerin jetzt an der Haustür auf mich .
Sie ging zu ihrem Mini, dessen Rot im Licht der Neonleuchten schimmerte. Neben ihr parkte nur der dunkle Kombi ihres Etagennachbarn. Die Parklücke auf der anderen Seite war frei. Diese Frau würde jetzt doch nicht kalte Füße bekommen haben und einfach abgehauen sein? Warum hätte sie sich dann vorher noch bei ihr melden sollen?
Als sie ihren Wagen genauer inspizierte, stellt Carla allerdings verwundert fest, dass sie nirgendwo eine Delle erkennen konnte. Sie kniete sich hin und sah genauer nach. Nein, da war nicht der geringste Kratzer.
»Also, ich weiß ja nicht, wen du angefahren hast, Schätzchen«, murmelte sie, »aber mein Auto war’s nicht.«
In dem Moment, als sie sich wieder erhob, huschte ein Schatten hinter dem Kombi hervor, ergriff sie und schmetterte sie vornüber auf die Motorhaube. Es ging so schnell, dass Carla keine Zeit für eine Reaktion blieb. Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, spürte sie einen Einstich im Hals.
Carla stieß einen Schrei aus und versuchte sich gegen die Person zu wehren. Wieder und wieder schlug sie hinter
sich. Doch wer immer es auch war, er war stärker und presste sie unbarmherzig auf das kalte Blech.
Als sich alles um sie herum zu drehen begann, gab Carla schließlich auf und fiel in ein allumfassendes Nichts.
47
Die Glocke der Friedhofskapelle schlug ein Uhr. Jan stand etwas abseits der Trauernden. Es schien ihm, als sei die halbe Stadt zu Heinz Krögers Beerdigung gekommen, um vom ehemaligen Leiter der Fahlenberger Polizei Abschied zu nehmen. Dicht gedrängt standen die Menschen zwischen den Grabreihen und hörten den Trauerrednern zu.
Jan hatte eine Stelle gewählt, die ihm einen einigermaßen guten Überblick über die Trauergäste ermöglichte. Leicht war es nicht, einzelne Gesichter in der Menge auszumachen, denn die unzähligen Regenschirme behinderten die Sicht.
Felix Thanner stand neben dem Grab und verlas den Nachruf, während zwei Ministranten ihn mit Schirmen vor dem Regen zu schützen versuchten. Er sah müde und ungesund aus, fand Jan. Er konnte sehen, wie der Pfarrer zitterte, und sein Gesicht war bleich wie ein Leichentuch.
Jan ließ den Blick weiter durch die Reihen schweifen, bis er schließlich Rutger Stark entdeckte. Der Hauptkommissar stand neben Krögers Witwe und hatte einen Arm um die weinende Frau gelegt.
Jan hatte nicht gewusst, dass Stark den Krögers so nahegestanden hatte. Umso besser, dachte er. Kröger und Jan hatten sich immer gut verstanden, vor allem nach den Ereignissen
im vergangenen
Weitere Kostenlose Bücher