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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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Verzweiflung mitzuschwingen schien.
    »Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Gott uns für etwas bestrafen sollte, das wir aus bester Absicht heraus tun. Vielleicht wäre das, was Sie vorhaben, tatsächlich eine Sünde, aber sie wäre doch gerechtfertigt,
wenn Sie sie zum Wohle anderer begingen. Noch dazu, wenn es um ein Menschenleben geht, wie Sie sagen.«
    Thanner rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Er war aschfahl, und seine ohnehin schmalen Züge wirkten eingefallen.
    »Sie haben ja Recht«, sagte er mit bebender Stimme. »Das Schlimme ist, dass ich mir dessen längst bewusst bin. Es fällt mir nur so entsetzlich schwer, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Ich war bisher zu feige, das Richtige zu tun. Das liegt wohl daran, dass ich schon immer ein Feigling gewesen bin, schon als Kind. Dabei hätte ich bereits vor Jahren etwas unternehmen müssen. Dann wäre es gar nicht erst so weit gekommen.«
    Auf einmal beschlich sie ein unheimliches Gefühl. Sprachen sie wirklich über dasselbe? »Wie soll ich das verstehen? «
    »Ich bin dem Teufel begegnet«, sagte er, und seinem Blick war anzusehen, dass er es völlig ernst meinte.
    Edith Badtke sah ihn erstaunt an. »Dem Teufel?«
    Er nickte langsam. »Ja, und damit meine ich keine Metapher. Auch wenn Sie mich jetzt vielleicht für verrückt halten, aber ich bin fest davon überzeugt. Genauso wie ich weiß, dass es einen Gott gibt. Ich habe den Teufel in den Augen eines Menschen gesehen, aber aus Feigheit habe ich diese Erkenntnis ignoriert. Er hat es mir leichtgemacht, indem er mich ebenfalls ignoriert hat. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt ist dieser Teufel erwachsen.«
    Mit diesen Worten richtete er sich auf, ächzend wie ein alter Mann, der sich für einen letzten, schweren Gang wappnet.
    Auch Edith Badtke erhob sich. Sie war beunruhigter denn je.

    »Was wollen Sie jetzt tun?«, fragte sie vorsichtig.
    »Einen schweren Fehler wiedergutmachen«, sagte er, und ihm war anzusehen, dass ihm dieser Gedanke eine Todesangst bereitete.
    Zaghaft griff sie nach seiner Schulter und suchte seinen Blick. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    »Mit unserem Gespräch haben Sie mir schon mehr geholfen, als Sie ahnen«, sagte er und lächelte gequält. »Aber wenn Sie doch noch etwas für mich tun wollen, dann beten Sie für mich. Für meine Seele. Dafür, dass es noch nicht zu spät ist.«
    Sie spürte eine Gänsehaut. Auf einmal schien es in der Kirche deutlich kälter geworden zu sein. »Wie meinen Sie das? Wofür soll es zu spät sein?«
    Wieder lächelte er, doch es glich mehr einer ängstlichen Grimasse. Dann wandte er sich ab und ging davon.

53
    Wie ein Wahnsinniger jagte Jan durch die Straßen, überfuhr eine rote Ampel und hätte um Haaresbreite einen Lastwagen gerammt, wenn dieser nicht in letzter Sekunde ausgewichen wäre. Begleitet vom Hupkonzert der anderen Verkehrsteilnehmer brauste er durch das ehemalige Arbeiterviertel, wich Passanten auf Zebrastreifen aus und riskierte Kopf und Kragen, als er trotz des Gegenverkehrs einen Sattelschlepper überholte. Doch es war ihm alles einerlei. Carla war in Gefahr. Er musste zu ihr, und jede Minute zählte.
    Als er endlich das alte Astoria am Stadtrand erreicht
hatte, hielt er hinter einem tiefergelegten roten Sportwagen vor dem Eingang und stürmte in das Gebäude.
    Der alte Mann hinter dem Anmeldepult fuhr erschrocken hoch. Neben ihm drang aus einem uralten Transistorradio leise Musik.
    »Herrgott, Sie haben mich vielleicht …«
    »Carla Weller«, schrie Jan ihn an. »Ist sie hier?«
    »Wer sind Sie?«, fragte der Alte und kniff die Augen hinter einer brennglasdicken Brille zusammen.
    Jan schlug mit der flachen Hand auf den Tresen. »Verdammt, welches Zimmer? Das ist ein Notfall!«
    »N-Nummer neunzehn«, stammelte der Mann und zeigte zum Treppenaufgang. »Erster Stock und dann links. Der Aufzug funktioniert nicht.«
    Jan hastete die Treppe hoch, nahm zwei Stufen auf einmal, stieß die Schwingtür zum Korridor auf und lief die Zimmernummern ab. Als er vor Nummer neunzehn angekommen war, hieb er mit der Faust gegen das Türblatt.
    »Carla, bist du da drin? Ich bin’s, Jan. Mach auf, Carla!«
    Aus dem Inneren war die verblüffte Stimme eines Mannes zu hören, doch niemand öffnete.
    »Aufmachen!«, brüllte Jan. »Machen Sie die verdammte Tür auf!«
    »Wer ist da?« Wieder die Männerstimme.
    »Sie sollen aufmachen, oder ich trete die Tür ein!«
    »Sachte, sachte«, rief der Mann von drinnen. Er

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