Dunkler Winter
Pferde ans Wagenheck.
Einen Augenblick später erschienen Silvus und sein Partner von Norden her und folgten unserem Beispiel. »Sind das alle?« Die Stimme war schärfer geworden.
Im Näherkommen konnte ich den eigenartigen Tonfall heraushören, der mir wie ein unbestimmtes Echo von Schwester Winterridges Sprechweise vorkam. Ich warf ihr einen Seitenblick zu. Sie hatte in Aufmerksamkeit oder Verwunderung die Stirn gerunzelt. Auch ihr war die Ähnlichkeit nicht entgangen.
»Das sind alle«, rief Raol. Der Wind riss ihm die Worte von den Lippen. »Wir konnten nicht wissen, was hier war.«
Stille. Das dünne Pfeifen des Windes. Dann kam die Stimme wieder: »Kommen Sie herüber, aber langsam. Blei ben Sie vor dem Fuhrwerk und halten Sie beim Pferch.«
Achtzig Schritte zum Haus, vielleicht sechzig zum Pferch. Die Wand des Hauses bildete eine Seite des Pferchs. Eine weitere bestand aus aufgelesenen und zu einer Trockenmauer geschichteten Feldsteinen, die bei den anderen aus krummen Holzpfosten und Flecht werk dazwischen. In einem Winkel lag ein verrottender, stark miefender kleiner Misthaufen. Keine Scheune, kein Schuppen. Offenbar wurden die Tiere über den Winter im Haus gehalten.
Meine Familie hatte ein altes Haus oben in Clearwater bewohnt, das diesem ähnlich gewesen war, bevor wir ein besseres bezogen hatten. Ein Kuhstall in einer Hälfte, die Familie in der anderen, getrennt durch eine Wand. Ich fragte mich, ob dieses ärmliche Haus eine Trennwand besaß. Ich schätzte seine Maße ab. Vielleicht zwanzig Schritte lang, zwölf breit. Mit dem eingetieften Boden vielleicht hoch genug für eine Schlafplattform unter dem Dach. Das würde ausreichend Raum für eine Familie schaffen. Vielleicht gab es Kinder.
Wenn es so war, dann wurden sie sehr ruhig gehalten.
Wir durchwateten den Fluss und versuchten nicht daran zu denken, wie das kalte, saure Moorwasser auf den Stahl an unseren Beinen wirkte. Oder dass die Möglichkeit eines Hinterhaltes bestand. Es war nicht auszuschlie ßen, dass der Mann drei oder vier Armbrüste hatte, dazu vielleicht zwei oder drei Schützen. So viele Leben würde er in der Hand haben und Raol würde das seine als Erster geben müssen. Ich gelobte, dass seine Hütte bren nen und er darin geröstet werden sollte, wenn er es ver suchte.
Aber es gab keine Schwierigkeiten. Wir erreichten den Pferch, hielten an und tauschten unbehagliche Blicke. Das Gesicht des Grafen spiegelte Missvergnügen, die Lippen waren zusammengepresst und blutleer, die Augen zusammengekniffen. Nun, für ihn war es sicherlich eine Demü tigung, um Erlaubnis fragen zu müssen, bevor er zur Tür einer armseligen Bauernkate ging. Andererseits war er es gewohnt, um Erlaubnis zu bitten, wobei es freilich einen Unterschied machte, ob er es mit seinem Lehnsherrn Na than oder einem gewöhnlichen Bauern zu tun hatte.
Bald wurde uns klar, warum der Bauer uns beim Pferch hatte halten lassen. Seine Haustür öffnete sich zu uns, und er konnte ihr massives Holz als Schutzschild zwischen uns und ihm selbst benutzen. Er schaute mit einer Körperhälfte dahinter hervor.
Ein großer, kräftiger Mann, viel größer als ich. Eine ungekämmte, wirre blonde Mähne, von der Sonne gebleicht. Aber die Waffe, die er in den Händen hielt, fesselte meine Aufmerksamkeit mehr. Eine Armbrust mit einem dicken, kurzen Bogen aus brüniertem Stahl und mit einem eiser nen Bolzen in der Rinne. Und der Kolben bestand gleich falls aus Metall, nicht aus Holz. Ein Klinkenrad und zwei Spannhebel, die abwechselnd arbeiteten, um den Bogen neu zu spannen. Wenigstens hielt er sie aufrecht.
Aber ich hätte schwören mögen, dass dieses Ding das Werk von Kobolden war. Auch Schwester Winterridge beobachtete ihn, und ihre Miene verriet zunehmenden Schrecken.
Wenn er ihre Empfindungen teilte, ließ er es sich nicht anmerken. Er grinste ihr zu; weiße Zähne blitzten im bu schigen Dickicht seines Bartes.
»Einen schönen guten Tag, edle Dame«, sagte er, und wieder fiel mir seine seltsame Betonung der Vokale auf. Vielleicht übertrieb er sie um der Wirkung willen. Ihre Züge waren aufs Äußerste gespannt. Sie sagte etwas, leise, in einer mir unbekannten Sprache.
Er antwortete in der gleichen Sprache, fuhr dann aber mit einer uns alle einschließenden Gebärde fort: »Es ist am besten, wenn jeder das Gespräch versteht. Ich heiße Sie in Frieden willkommen.« Ohne den Blick von uns zu wenden, wandte er den Kopf und rief ins Haus: »Bier und Brot. Und
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