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Dunkler Winter

Dunkler Winter

Titel: Dunkler Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Luckett
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machten der Bauerntochter schöne Augen, was wahrscheinlich Ärger geben würde, wenn ihr Vater es bemerkte. Ich schlenderte den Hang hinunter zur Schwertjungfrau, die auf den Fer sen im Gras kauerte. Sie blickte kurz auf, als ich neben ihr erschien, dann schenkte sie mir keine Beachtung mehr. Ich fühlte einen Anflug von Gereiztheit; dies war nicht die rechte Zeit, um eingeschnappt zu sein.
    »Was ist los?«, fragte ich. Vielleicht kam es ein wenig schärfer heraus, als ich beabsichtigt hatte. Sie blickte wie der auf, eine steile Falte zwischen den Brauen.
    »Das würden Sie nicht verstehen«, erwiderte sie kalt und blickte weg. Das brachte mich auf.
    »Vielleicht doch«, sagte ich. »Versuchen Sie’s.«
    Sie legte den Kopf auf die Seite und musterte mich aus schmalen Augen. Die Sonne sank jetzt rasch tiefer; der Spätherbstnachmittag verblasste zu Grau- und Brauntönen. Der Wind raschelte im Ginster und verhieß Kälte. Sie beobachtete mich lange von der Seite, und die dunkleren und helleren braunen Strähnen, die sich aus ihrer straff zurückgekämmten Frisur befreit hatten, hingen um die harten Flächen ihres Gesichts.
    »Vielleicht«, sagte sie schließlich widerwillig. »Aber was wird es Ihnen bedeuten, wenn ich Ihnen sage, dass er ein Raschsaya ist? Sie würden die Sprache der westlichen Küste kennen müssen, um so viel zu verstehen, und trotz dem bedeutet es nur ›kurzgeschoren‹. Um die wirkliche Bedeutung zu verstehen, würden Sie unsere Geschichte kennen müssen.«
    »Geschichte?«
    »Ja. Die Geschichte des Ordens und der Leute.«
    »Erzählen Sie mir.«
    Sie seufzte, diesmal einen echten Seufzer. »Alles zu er zählen, würde dem Inhalt einer Bibliothek gleichkommen. In Ys gibt es eine, und Sie werden davon Gebrauch machen können, wenn wir hinkommen – falls es Sie interessiert. Erzählen Sie mir, wie ein Mann wie Sie in die Stadtwache von Tenabra gekommen ist?«
    »Ich schlage einen Handel vor. Eine Geschichte für eine Geschichte.«
    »Hmm. Bei dem Handel würde ich schlechter abschnei den. Aber meinetwegen. Wo soll ich anfangen?«
    »Vielleicht mit Shanhis Krieg.«
    »Sie wissen davon? Nun, nach diesem Krieg, als das Dunkel nach Ctersi vertrieben worden war, erbaute der Orden sein Mutterhaus in Ys, auf einem felsigen Vorge birge, das dort wie eine Halbinsel in den Westlichen Ozean hinausreicht. Es wurde dort errichtet, um darüber zu wa chen, dass das Dunkel bliebe, wohin die Priorin Barbara und ihre Verbündeten es verbannt hatten; und die Leute, die dort und in der Umgebung unter dem Dunkel gelebt hatten, verpflichteten sich, den Orden zu versorgen und zu unterstützen, wenn er ihnen Schutz gewährte.«
    »Ich kenne nur das Ergebnis des Krieges. Nichts davon, was später geschah.«
    Sie nickte. »Also legten die Leute einen Eid ab, und sie taten gut daran. Jeder, der unter der Peitsche eines Trolls gearbeitet oder gesehen hat, wie Bruder, Ehegatte oder Kind starben und wieder gebraucht wurden, als Untote umhergingen, bis ihre Knochen auseinanderfielen, würde alles tun, um frei zu sein. Und so wurde die Vereinbarung getroffen. Sie, die Leute, lieferten Nahrung und bearbeite ten das Land, und der Orden bewachte und schützte sie. Ihre Töchter konnten kostenlos dem Orden beitreten und seine Ausbildung erhalten. Der Orden wiederum konnte unter den Landesbewohnern Arbeitskräfte anwerben. So wurde die Festung Ys errichtet, um die Meerenge zu bewachen, wo das Binnenmeer dem Westlichen Ozean be gegnet, auf dem kleinen Vorgebirge, wohin Priorin Bar bara sich nach dem Krieg zurückzog. Manche sagen, sie sei dort begraben. Die Errichtung der Festung dauerte drei Generationen. Die Steine für die Mauern wurden von der Halbinsel gebrochen, bis die See durch die so entstan dene Lücke strömte – die Inselfestung ist heute durch die Eiserne Brücke mit dem Festland verbunden. Die Mauern der Festung sind hundert Fuß hoch, vierzig Fuß dick und mit Eisenstangen im gewachsenen Fels verankert. Eine Mauer ragt hinter der anderen, eine Brustwehr blickt auf die andere herab, sodass ein Angreifer, der eine der mäch tigen Mauern erstürmt, sich nur der nächsten gegenübersehen würde, ungeschützt einem Geschosshagel ausge setzt.«
    Es hörte sich wie ein Zitat an, eine Litanei.
    »Eindrucksvoll«, meinte ich. Sie warf mir einen ungeduldigen Blick zu.
    »Eindrucksvoll. Nun ja. Ich denke, das muss einstweilen reichen, bis Sie die Festung mit eigenen Augen sehen. Die stärkste von allen Fesrungen auf Erden,

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