Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Winter

Dunkler Winter

Titel: Dunkler Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Luckett
Vom Netzwerk:
weiter. Aber die nächste war immer höher als die vorherige.
    Der Wind fegte über den Sattel der Passhöhe, wirbelte den Schnee von den Felswänden zu beiden Seiten und schleuderte uns prickelnde Kristalle in die Gesichter. Sie setzten sich in Bärten und Augenbrauen fest und bildeten Eiskrusten, was bedeutete, dass die Temperatur ein gutes Stück unter den Gefrierpunkt gesunken sein musste – und noch immer schneite es.
    Nach einer Stunde wussten wir, dass es aus war mit uns; wir arbeiteten uns noch eine Weile weiter vor, aber dann lichtete sich der Himmel für eine halbe Minute, der Wind trieb die Schneewolken auseinander und wir konnten nach vorn sehen.
    Der Einschnitt der Passhöhe verengte sich, und dort in der Enge vor uns stand eine massive weiße Wand aus dicht gepacktem Schnee, oben frisch und wattig, dick wie ein Daunenkissen und vierzig Fuß hoch. Kein Durchgang, sagte sie. Wir betrachteten sie schweigend, dann sahen wir einander an, die Gewissheit des Verhängnisses in un seren Herzen, sahen die Bestürzung und die Furcht in un seren Gesichtern. Und den erschöpften, durchgefrorenen Ausdruck.
    Und dann kam der Schnee wieder herunter, und der Horizont sprang auf uns zu, zurückgedrängt von einem wirbelnden weißen Vorhang. Zur Rechten schob sich ein Felsvorsprung von der Größe eines Hauses an den Weg heran und bot einen gewissen Windschutz. Wir versam melten uns an seiner Leeseite, und nachdem wir eine Weile in benommenem Schweigen unter dem Schock der neuen Lage beisammen gestanden hatten, brachte jemand ein Seil zum Vorschein und wir banden uns aneinander. Dann begannen wir den Rückzug.
    Es wurde nicht gesprochen. Eine halbe Geste von mir, und Silvus zog sich einen Handschuh aus, um einen toten grauen Fleck auf seiner Wange zu reiben, während er da hinstolperte. Der Wind pfiff und heulte in seinem Tri umph, als er uns hinuntertrieb. Wir stapften zurück, in die Flucht geschlagene Truppen, die vor einem übermächtigen Feind weichen. Erst auf der freien Fläche unter dem Pass, wo wir am Morgen aufgebrochen waren, machten wir Halt.
    Wir wären dort gestorben, wenn es Raol und Schwester Winterridge nicht gemeinsam gelungen wäre, ein Feuer in Gang zu bringen. Eines der Pferde verendete, und wenn wir kein Futter für sie finden konnten, würden auch die anderen sterben. Tiere wissen, was gut für sie ist. Aber auf dem Karren gab es Reisigbündel und einen Vorrat Torf, und Raol hatte unter einer Plane in einem Topf Holz kohlenglut bewahrt, die in diesem Augenblick wertvoller war als Wasser in der Wüste. So überlebten wir die Nacht.
    Am nächsten Morgen legte sich der Sturm, und es wurde ein klarer, sonniger Tag. Alles war von endloser, schmerzhafter Klarheit, wie ein Blick in das Auge des Gottes, der das Universum lenkt, des einen Gottes, von dem die anderen nur Aspekte sind. Kalt, gewiss, aber Kälte ist nicht böswillig. Sie hat es nicht auf einen abgesehen, reißt einem nicht die Kleider vom Leib, erschöpft, verwirrt und blendet einen nicht gleichzeitig. Wir keuchten unter dem Schock der Kälte, die in unsere mühsam arbeitenden Lungen biss, aber wir konnten uns einwi ckeln und uns vor ihr schützen. Leben – nicht Wärme, aber Leben – konnte in Hände und Füße zurückkriechen.
    Dem Grafen ging es schlecht. Er wirkte ermattet, grau und hatte Erfrierungen. Silvus ging es nicht viel besser. Wir luden Vorräte und Material ab und brachten die bei den auf dem Karren im Schutz der Plane unter. Eine Stunde verbrachte ich damit, Silvus zu erwärmen und ihm warme Suppe einzuflößen. Raol und der Knappe des Grafen taten das Gleiche für Ruane. Die anderen küm merten sich um die Tiere.
    In geschützten Mulden gab es Gras, das gelb und welk wie Heu, aber nicht nutzlos war. Es konnte als Raufut ter für die Pferde dienen. Sie bekamen Hafer aus unserem Vorrat. Wir fütterten sie so reichlich, wie wir konnten, teils um die Ladung zu erleichtern, teils um ihre er schöpften Kräfte wiederherzustellen.
    Wie sich herausstellte, hätten wir es lieber nicht tun sollen.
    Es dauerte nur eine Minute. Wir waren zu müde, um es rechtzeitig zu erkennen. Die Söldner erboten sich, die Pferde zur Tränke zu führen. Als sie es taten, warfen sie die Hafersäcke, die wir vom Karren geladen hatten, über die Tragsättel der kräftigsten Tiere. Ich fragte mich, warum, fasste aber keinen Verdacht. Dann saßen beide Männer auf, einer auf dem großen Wallach des Grafen. Wir hatten kaum angefangen, uns Gedanken darüber

Weitere Kostenlose Bücher