Dunkler Zauber
entkommen.
Er hatte sich jedoch nicht auf den Weg zu Thantos' Villa auf dem Festland gemacht. Sein Versagen bei der Entführung der Zwillingsschwestern, die Angst vor dem Zorn seines Bruders hatten ihn dazu bewegt, nunmehr einen Plan für Karshs Entführung auszuhecken. Fredo war nicht so klug wie der weise Karsh, doch er konnte den Schock für sich arbeiten lassen. Und das tat er auch.
Ein Überraschungsangriff.
Karsh war in seinem verworrenen, zugewucherten Kräutergarten und pflegte die besonderen Pflanzen, die es ihm seit vielen Jahren ermöglichten, den tapferen Kampf gegen seine ständigen Schmerzen zu führen. Er hatte gerade genug geerntet, um sich ein Elixier zu brauen, als ohne jede Vorwarnung eine gigantische Eidechse aus dem Himmel auf ihn herabgestürzt kam, ihn mit ihren Monsterkrallen packte und mit ihm davonflog - Karsh hatte die Kräutersamen aus seinen Händen verloren und sie verteilten sich weit über die Landschaft unter ihm.
Irgendwann danach hatte Fredo ihn an Thantos ausgeliefert, ohne überhaupt genau zu wissen, was mit der Entführung des Mächtigen erreicht werden konnte.
Thantos war außer sich vor Zorn, dass Fredo ihm nicht die Zwillinge brachte, doch schnell hatte er überlegt, wie er dieses »Geschenk« seines kleinen Bruders für seine Zwecke einsetzen konnte. Er würde mit dem alternden Hexer Ileana zu sich locken. Sie würde Karsh doch sicherlich retten wollen ... Und wenn die beiden dann aus dem Weg waren, blieben Camryn und Alexandra ohne Schutz.
Bislang hatte sein Plan noch nicht funktioniert. Doch Thantos wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war. Er kannte Ileana. Trotz ihrer Klugheit, ihres Mutes, ihrer Schönheit, Tapferkeit und sogar - tief drinnen - ihres reinen Herzens: Ihre Schwäche war immer schon die Ungeduld gewesen. Sie würde bald handeln.
Karsh kannte Thantos' Gedanken. Er kannte aber auch ein vor Thantos gut verschlüsseltes Geheimnis. Und keiner seiner beiden Entführer war sich dessen bewusst. Thantos würde Ileana vielleicht drohen, er würde sie vielleicht ängstigen, hereinlegen und sie schließlich schnappen. Doch er würde der begabten jungen Hexe niemals ein Leid zufügen. Karshs offene Gedanken wanderten nun zu einem Menschen, von dem er ebenfalls glaubte, dass ihm der wahnsinnige Klotz von einem Hexer niemals ein Leid zufügen würde. Thantos brach in tiefes, heiseres Gelächter aus. »Wie, mein Lord? Nach all den Jahren denkt Ihr noch an sie? Seltsam, dass Ihr diesen Gedanken nicht vor mir versteckt habt - ein Kinderspiel, ihn zu lesen.«
Karsh erhob seine kratzende Stimme. »Was habt Ihr mit ihr angestellt? Jetzt, da ich Euch wehrlos ausgeliefert bin, könnt Ihr es mir doch wohl erzählen. Ich stelle keine Bedrohung für Euch dar.«
Thantos strich sich über seinen dunklen, struppigen Bart. »Miranda, Miranda. Die Frau meines Bruders. Weshalb nur meint Ihr, dass ich irgendetwas mit ihrem Verschwinden zu tun hatte?«
Fredo mischte sich ein: »Genau, wie kommt Ihr darauf, dass sie überhaupt noch am Leben ist? Außerdem kann es Euch doch egal sein. Vergesst sie einfach. Sie ist weg, für Euch ist sie gestorben. Ihr habt andere Probleme.«
Karsh blinzelte, als er mit einem Mal von einem Gedanken, einer Gewissheit übermannt wurde. »Miranda ist nicht tot, stimmt's?«
Ruckartig sprang Thantos von seinem Stuhl auf. Er stellte sich so nah vor Karsh, dass ihre Nasen sich beinah berührten und zischte: »Nur so viel: Ihr werdet sie niemals mehr lebend zu Gesicht bekommen.«
»Und weshalb nicht, Lord Thantos?«, forderte Karsh ihn heraus, unbeirrt und furchtlos.
»Du dickköpfiger, seniler alter Hexer: Falls die bezaubernde Ileana Euch nicht bald zu Hilfe eilt, dann werdet Ihr überhaupt keine Menschenseele mehr zu Gesicht bekommen. Weil Ihr dann nämlich tot sein werdet.«
Kapitel 10 - DER HINWEIS
»Treffer!«, schrie Alex triumphierend, als sie am nächsten Tag in der kleinen Pause ihre Schwester im Gang zu sich herüberwinkte. »Ich hab was gegen die Webb in der Hand.«
»Du hast ihre Gedanken gelesen?«, riet Cam eifrig. »Besser noch ...«, quälte Alex sie und ihre metallischen Augen funkelten. »Ich versteckte mich, ich hörte, ich ließ etwas zu Boden stürzen und ich sah!«
Vielleicht hatte es daran gelegen, dass ihre Schwester so am Ende war. Oder daran, dass die Webb, wie sie jetzt wussten, mit den Helfenden Händen verstrickt war - und sich Beth geschnappt hatte. Vielleicht hatte es auch einfach nur daran gelegen, dass Alex
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