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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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die Ferne so mackermäßig wie der Cowboy aus der Zigarettenreklame. Du aber siehst in die Welt mit so einem kleinen Lächeln um die Mundwinkel. Geheimnisvoll. Fast wie die Mona Lisa.«
    Max ließ sich auf Chiaras Bettcouch fallen und schlug sich auf die Schenkel. »Wie die Mona Lisa, na das sind vielleicht Komplimente! Ich bin doch keine Tunte!«
    Chiara kicherte und warf ihr Stuhlkissen nach ihm. »Es sollte aber eins sein. Du merkst es nur nicht, du Vollpfosten!«
    »Rache!«, schrie Max und warf ein Kissen nach ihr. Sie fing das Kissen, sprang zu ihm hinüber und schlug auf ihn ein. Max schlug mit einem großen Stofftier zurück. »Lass meinen Schlaf-Elch in Ruhe!«, quiekte Chiara. Max hielt ihr den Elch direkt vor das Gesicht und mimte mit tiefer Stimme: »Die größten Kritiker der Elche, waren früher selber welche!« Chiara krümmte sich vor Lachen. Irgendwann lagen sie mit erhitzten Gesichtern und atemlos nebeneinander auf der Couch. Max hob die Hand und strich ihr vorsichtig die feuchten Locken aus dem Gesicht. In dem Moment klopfte es kurz an der Tür. Zugleich schwang sie auf und Herr Köhler stand im Türrahmen.

Montag, der 7. Januar
    Dieser Köhler ist vielleicht eine Gestalt! Gruselig wie der Glöckner von Notre Dame. Aus den Riesenlöchern seiner roten Knollnase wachsen lange, verklebte Haare. Oben auf dem Kopf hat er eine Glatze und rundherum einen Haarkranz aus fettigen gelbweißen Strähnen. Er ist kleiner als ich, aber für sein Alter noch ganz schön drahtig. Plötzlich stand er in Chiaras Zimmertür und schmeißt mich mehr oder weniger raus. Er hätte hier die Aufsicht über das Fräulein Plati (Fräulein! Aus welchem Mittelalter haben sie den rübergebeamt?) und so einen Zirkus könnte er nicht dulden! Chiara hat ihm zwar ein paar freche Antworten hingedonnert, aber irgendwie war dann doch die Stimmung hin, und ich bin gegangen. Der Köhler wohnt eigentlich in der Modertal-Siedlung in einem schick renovierten Häuschen. Aber wenn die von Bentheims in Urlaub sind, dann hütet er das »Schloss«, wohnt in der Einliegerwohnung im Keller und führt sich auf wie der Schlossherr persönlich.
    Aber was rege ich mich auf, Hauptsache, Chiara ist wieder da. Heute Mittag habe ich sie vom Flughafen abgeholt. Es war echt ein Masterpiece von mir, mich dort nicht total zu verlaufen und dann noch das Gate zu finden, aus dem sie endlich herauskam. Zugegeben, ich war eine ganze Stunde früher da, um dann so tun zu können, als würde ich mich auskennen, wie all die anderen, die so selbstverständlich an mir vorbeiliefen.
    Ich habe noch nie in einem Flugzeug gesessen. Urlaub hieß bei uns früher immer »auf dem Bauernhof in der Nähe«. Hat mir eigentlich auch Spaß gemacht, aber wenn ich dann hörte, was die aus meiner Klasse alles erzählten, wo sie gewesen waren, da traute ich mich nicht mehr, was zu sagen. Sie zeigten ihre Bilder herum und ich nahm es meinen Eltern übel, dass wir nie aus Deutschland herauskamen. Erst als ich merkte, dass das eigentlich eine ganz miese Show war, ging es mir besser. Ob Kreta, Mallorca, Ägypten oder Türkei. Immer siehst du im Hintergrund einen blaugrauen Streifen Meer, vorne einen türkisblauen Swimmingpool. Auf dem einen Bild steht der Hotelplattenbau rechts davon, auf dem anderen links. Irgendwie alles dasselbe. Dafür muss ich nicht einmal um die halbe Welt reisen.
    Für Chiara ist Fliegen das Normalste von der Welt, so ähnlich wie S-Bahn fahren. Sie war von hier alleine nach Sizilien geflogen und auf dem Umweg über Mailand wieder zurück. Gero von Bentheim zahlt. Alles kein Problem.
    Irgendwie habe ich gerade ein bisschen den Hänger. Ich denke darüber nach, dass man dazu verdammt ist, alles so zu nehmen, wie es kommt. In den Nachrichten haben sie vor ein paar Tagen einen Bericht darüber gebracht, dass die Russen jetzt keine Waisenkinder mehr zur Adoption in die USA lassen. Sie haben gezeigt, wie es den Kindern, die eigentlich keiner will, dort in den Waisenhäusern geht. Dagegen ist hier jeder Knast ein Nobelhotel. Seit ich weiß, dass ich auch so ein Trash-Kind bin, reagiere ich auf solche Sachen empfindlich. Du kannst nichts dafür, in welches Leben du hineingeboren wirst. Sportlich betrachtet, sind solche Startbedingungen unfair. Niemand käme auf die Idee, bei einem Hundertmeterlauf dem einen Laufschuhe zu geben und dem anderen eine Eisenkugel ums Bein zu binden. Ob du ein Loser wirst, steht von Anfang an fest. Maurice startete im Bentheim-Schloss und ich auf

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