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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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eigensinnig ab. Er bändigte sie nicht mit Spray, sondern ließ sie gewähren. Max betrachtete sich skeptisch. Sonderlich cool sah das nicht aus, eher wie »der gute Max von nebenan«. Wollte er das? Vielleicht würde es besser aussehen, wenn die Haare wieder etwas länger gewachsen waren? So ein Pony, das ganz tief in die Augen hing, wäre doch etwas! Boy-Group-Max. Er streckte seinem Spiegelbild die Zunge heraus und ging zurück in sein Zimmer. Dort zog er aus dem Schrank und der Kommode alle Kleider und warf sie auf sein Bett. Sorgfältig sortierte er aus, was ihm persönlich zusagte und was er sich nur deshalb zugelegt hatte, weil es an Maurice erinnerte. Da waren einige sehr teure Stücke dabei. Er hatte sie in einem Second-Hand-Laden in der Stadt erworben, vielleicht nahmen die sie auch wieder zurück. Auf Markenklamotten waren die immer scharf, egal wie abgetragen sie waren. Oft machte das ja gerade den Style aus.
    Anschließend holte er aus dem Keller einige leere Umzugskartons und beschäftigte sich in den nächsten beiden Stunden intensiv mit dem Auf- und Ausräumen seiner Schränke. Aus dem Bücherregal sortierte er alles aus, was mit der Altersangabe bei spätestens 14 endete. Es blieb nicht mehr viel übrig. Überhaupt sah das Zimmer jetzt sehr leer aus. Aber brauchte er noch einen Technik-Baukasten? Auch der kam in eine Kiste und gab über dem Kleiderschrank die Sicht auf die Tapete frei.
    Sonja steckte den Kopf zur Tür herein und sah sich besorgt um. »Was um alles in der Welt machst du hier? Du willst doch hoffentlich nicht ausziehen?«
    Max genoss das Erschrecken in ihren Augen. Statt einer Antwort fragte er: »Kann ich das auf den Dachboden räumen?«
    »Ich weiß gar nicht, ob da oben Platz ist, da war schon ewig keiner mehr.«
    Max verzog unwillig das Gesicht. »Kann ich oder kann ich nicht?«
    Sonjas Blick flackerte ängstlich. »Ich frag mal Oma, wo der Stock mit dem Haken ist, damit man die Luke aufziehen kann.«
    Wenig später hatte sich Max’ Aufräumaktion zu einem Familienunternehmen ausgeweitet. Andreas versuchte mit dem Hakenstock, den verrosteten Mechanismus der Bodenklappe in Gang zu setzen, während die anderen dabei standen und ihn beobachteten.
    »Muss das denn sein?«, fragte Oma mit bedenklicher Miene.
    »Ja«, erklärte Sonja. »Max will sein Zimmer umräumen und die Kindersachen aussortieren. Das kann ich verstehen«.
    Max verzog das Gesicht. Er wollte nicht, dass alle ihm halfen, er wollte nicht, dass Sonja ihn verstand. Schorsch kam angesaust und sprang zur Begrüßung an Max’ Beinen hoch. Max kraulte ihn. »Seine Ohren sind ja ganz nass«, stellte er fest.
    »Ich habe unten die Küchentür aufgemacht, damit er in den Garten kann. Du hattest ja keine Zeit, um mit ihm Gassi zu gehen«, erklärte Sonja.
    »Er soll nicht alleine raus!«, rief Max.
    In dem Moment löste sich die Klappe. Staub rieselte. Andreas zog vorsichtig die mit rußigen Spinnweben verhangene Leiter aus, bis sie auf dem Flurboden stand. Max musste niesen und schaute durch die Luke nach oben. Durch ein geteiltes Blechfenster konnte man in einen finsteren Wolkenhimmel blicken, in dem sich eine schmale Mondsichel wie ein schiefer, grinsender Mund zeigte. Max schaute beklommen hinauf. Na, Maurice? Findest du es lächerlich, was ich hier gerade veranstalte? Aber es muss sein. Es ist der Abschied von dieser besessenen Idee, dein Bruder zu sein. Es ist der Abschied von dem alten Max, der nichts alleine auf die Reihe bekam. Der neue Max, der zieht sich jetzt selbst seine Spur. Trotzdem schade. Mit so einem virtuellen Bruder als Schicksalsgenossen wäre alles leichter. Tschüss, Maurice, letzte Grüße, dein Max .
    Max biss sich auf die Unterlippe. Eine dunkle Wolke verschluckte den Mond.
    »Ich hole den Staubsauger«, erklärte Sonja und Max zuckte zusammen, als habe ihre Stimme ihn aus einer anderen Welt gerissen.
    Andreas kletterte als Erster nach oben. »Wo ist hier der Lichtschalter?«, rief er.
    »Gleich neben dir an dem Holzpfosten«, antwortete die Großmutter.
    Ein schwacher, gelblicher Lichtschein fiel durch die Luke. Andreas stöhnte auf und rief vorwurfs-voll: »Eine freiliegende Leitung einfach nur aufs Holz genagelt! Moderner Brandschutz sieht anders aus!«
    Max kletterte ebenfalls die Leiter hinauf und sah sich um. Der Boden bestand aus staubigen, alten Holzbrettern. Vor der Giebelwand, in der es ein kleines, rundes Fenster gab, stapelten sich ein paar Kisten. Sonst war der gesamte Dachraum

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