Dunkler Zwilling
Eingang war mit schwarzen, zackigen Pinselstrichen der Name des tierischen Bewohners angebracht.
»Maximilian Meerschwein«, las Chiara laut vor und sah Köhler herausfordernd an.
»Ja«, bestätigte Köhler. »Michelle wollte unbedingt, dass ich den Namen über die Tür schreibe. Erinnerst du dich nicht?«
»Doch«, bestätigte Chiara heftig nickend. »Und wie ich mich erinnere! Das ist ja das Problem.« Tränen strömten über ihr Gesicht und Köhler betrachtete sie verständnislos. »Maximillian wird mit zwei ›l‹ geschrieben!«, schrie Chiara. »Warum hast du das getan? Warum?«
Köhler betrachtete sie, als zweifle er an ihrem Verstand. »Ein Schreibfehler. Ich wusste das nicht. Was ist daran so schlimm, dass du jetzt so ein Theater deswegen machst? Hast du etwas genommen? Wo warst du überhaupt vorhin? Doch hoffentlich nicht bei diesem Max?«
Chiara warf das Holzbrett auf den Boden, sodass die kleine Tür abbrach. Sie trat noch einmal darauf und schrie: »Oh doch. Ich war bei Max! Und ich werde auch weiter bei Max sein, egal ob das Gero und dir passt oder nicht. Was habt ihr überhaupt gegen ihn?«
Köhlers Gesicht wirkte gequält. Er bemühte sich um einen ruhigen Ton. »Gero möchte nicht, dass du dich mit ihm triffst. Er hält ihn für schlechten Umgang.«
Chiara lachte böse auf. Aus schmalen Augen funkelte sie Köhler an. »Schlechter Umgang? Und deshalb hast du seinen Hund vergiftet? Hat Gero dir das aufgetragen?«
Köhlers Gesicht wirkte mit einem Mal grau wie Asche. »Was denkst du von mir? Das war ich nicht! So etwas würde ich nie tun.«
Chiara musterte den alten Mann aufmerksam. Seine Bestürzung schien echt. Leise und traurig sagte sie: »Warum hast du ihm aber diesen Brief geschrieben? Das kannst du nicht abstreiten! Ich habe deine Schrift erkannt und ich habe mich erinnert, wie sehr Franca sich damals amüsiert hatte, dass der Name falsch geschrieben war. So ist sie nun mal, meine perfekte Mutter.«
Köhler sah zu Boden. »Gero sagte, ich soll dafür sorgen, dass dieser Max nicht in deine Nähe kommt. Und dann, als du in Sizilien warst, da ist er mit so einem kleinen Asozialen vom Harzerpfad hier herumgeschlichen. Frech geworden ist er auch noch zu mir. Ich wollte ihm einen Schrecken einjagen. Darum habe ich den Brief geschrieben.«
Chiara nickte. »Machst du eigentlich immer alles, was Gero sagt?«
Köhlers Gesichtszüge erstarrten zu einer Maske. »Wenn du wüsstest!«, sagte er mit spröder Stimme.
»Dann erzähl mir, was du weißt!«, forderte Chiara.
Köhler schüttelte unmerklich den Kopf. Er wandte sich um und ging nach draußen. Chiara folgte ihm. Er lehnte an der Wand des Schuppens und zündete sich eine Zigarette an. Seine Hände zitterten mehr als sonst. »Ich finde auch, es wäre gut, wenn du keinen Kontakt mit diesem Max hättest.«
Chiara zog den Reißverschluss ihrer Jacke bis zum Hals und stemmte die Hände in die Taschen. Die feuchte Abendkälte kroch durch alle Nähte. Die Rauchschwaden der Zigarette brannten ihr in den Augen. Aber Chiaras Tränen strömten noch aus einem anderen Grund über ihr Gesicht.
Hier draußen war es zu dunkel, als dass Köhler es bemerkt hätte. Sein Gesicht glühte ab und zu auf, wenn er an der Zigarette zog. Dann erkannte Chiara die Gesichtszüge eines alten, traurigen Mannes und nicht die eines hinterhältigen Giftmischers. »Onkel Ernst?«, begann Chiara vorsichtig.
»Was ist?«, fragte er.
»Damals, als Maurice geboren wurde, da warst du doch auch schon hier im Haus.«
Es dauerte ein paar Zigarettenzüge, bis er antwortete. »Ich hab 1999 als Gärtner hier angefangen. Damals war ich 54. Vorher habe ich in Geros Firma als Buchhalter gearbeitet. Doch dann kam ein Herzinfarkt. Ich musste aufhören und bin ihm sehr dankbar, dass ich hier als Gärtner weitermachen durfte und meine Rente aufbessern konnte. Im Haus war ich anfangs nie, obwohl meine Frau schon seit Jahren dort geputzt und den Haushalt versorgt hat. Du weißt ja, wie misstrauisch Gero ist. Wenn ich mit Margit sprechen wollte, ist sie heraus zu mir in den Garten gekommen.«
»Dann war deine Frau 1997 im Haus, als Maurice geboren wurde?«
Köhler nickte im Schein der Glut.
Chiara beobachtete ihn aufmerksam. »Deine Frau hat dir doch bestimmt von der Geburt erzählt. Vielleicht war sie sogar dabei?«
»Sie war nicht dabei«, antwortete Köhler unerwartet schnell. »Ich sagte doch schon, sie arbeitete als Haushälterin und nicht als Hebamme.«
»Aber die Hebamme kannte
Weitere Kostenlose Bücher