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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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sie oder?«
    »Das war Brigitte Wiesner. Die hatte ihr Haus ganz in der Nähe von uns in der Modertal-Siedlung.«
    »Und? Hat sie deiner Frau etwas über die Geburt erzählt?«
    Köhler stöhnte auf. »Was weiß ich? Was Frauen sich halt so erzählen, wahrscheinlich ja. Aber warum willst du das alles wissen?«
    »Das weißt du doch«, pokerte Chiara. »Du weißt, warum ich danach frage, ob es damals bei Maurice’ Geburt nichts Ungewöhnliches gab. Du weißt, warum Gero einen Jungen, der Maurice verdammt ähnlich sieht, nicht in der Nähe seiner Familie haben will. Du weißt vielleicht sogar, warum Maurice gestorben ist. Du weißt –«
    »Schluss!«, unterbrach Köhler sie. Er warf seine Zigarette zu Boden und trat sie aus. Er drängte Chiara beiseite und verschwand im Eingang des Schuppens. Dort löschte er das Licht, schlug die Tür zu und schloss sie geräuschvoll ab. Dann machte er sich mit ausladenden Schritten auf den Weg zum Wohnhaus.
    Chiara hatte Mühe, ihm zu folgen. »Du weißt etwas und du musst es mir sagen. Bitte! Ich will –«
    Köhler stieß einen Laut aus, der wie das Knurren eines Hundes klang. »Was du willst, interessiert mich nicht. Und ich, ich will nur noch eines: ein paar gute letzte Tage bis mich entweder der Krebs holt, wie er meine Frau geholt hat, oder der nächste Infarkt. Aber bis dahin will ich vor allem meine Ruhe und ein gutes Leben.«
    »Das Gero dir bezahlt«, zischte Chiara.
    Abrupt blieb Köhler stehen und fasste Chiara hart an den Schultern, sodass sie es selbst durch die dicke Jacke schmerzhaft spürte. »Jetzt hör mir mal zu, Mädchen! Ja, er bezahlt. So ist das im Leben. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen, und am Schluss gibt es immer eine Rechnung, die beglichen werden muss. Und es ist gut und gerecht, wenn der zahlt, der den Schaden verursacht hat. Und dir gebe ich einen gut gemeinten Rat. Hör auf, in der Vergangenheit herumzuschnüffeln. Das macht die Toten auch nicht wieder lebendig und macht nichts wieder gut. Im Gegenteil. Und diesen Rat kannst du auch an deinen Freund weitergeben. Er tut gut daran, sich hier nicht blicken zu lassen, und zwar in seinem eigenen Interesse!« Köhler ließ sie los und lief zügig weiter.
    Chiara sah der dunklen Gestalt nach, die sich von ihr entfernte und schließlich in dem Kellerabgang verschwand, der zu Köhlers Räumen führte.
    In der Nacht ließ der Sturm die Rollläden klappern. Chiara wälzte sich unruhig hin und her. Plötzlich setzte sie sich auf. Da gab es noch ein anderes Geräusch. Dumpf und blechern. Chiara wusste sofort, was es war. Jemand musste unten im Flur gegen die große metallene Bodenvase gestoßen sein. Jemand, der sich dort im Dunkeln bewegte, weil er durch Licht nicht auf sich aufmerksam machen wollte. Chiara schlich hinaus ins Treppenhaus und lauschte. Eine Tür wurde leise geschlossen. Dann war nichts mehr zu hören. Chiara schlich auf Strümpfen die Treppe hinab und lief durch den Flur in Richtung der Vase. Sie erschrak, als plötzlich ein Lichtschein über ihre Füße huschte. Er kam unter der Tür hindurch aus Geros Arbeitszimmer.
    »Gero? Bist du da?«, rief Chiara. Es kam keine Antwort. Beherzt öffnete sie die Tür.
    Vor ihr stand Ernst Köhler. Er hielt einen Aktenordner in der Hand. Der Stuhl an Geros Schreibtisch war in seine Richtung gedreht. Offensichtlich hatte er dort gesessen und in dem Ordner geblättert, als Chiaras Stimme ihn aufgeschreckt hatte.
    »Was machst du hier in Geros Büro?«, fuhr Chiara ihn an.
    Köhler schob den Ordner in eine Lücke im Regal. »Mir war nur etwas eingefallen, was ich nachsehen wollte«, erklärte er.
    »Ich glaube nicht, dass es Gero gefallen würde, wenn er wüsste, dass du hier eigenmächtig an seine Unterlagen gehst.«
    In Köhlers altem Gesicht entstand ein beinahe komisch wirkender Trotz. »Du musst es ihm ja nicht sagen«, erklärte er und im Hinausgehen fügte er hinzu: »Dann sage ich ihm auch nicht, dass du dich hier mit diesem Max triffst. Eigentlich ist er ein netter Junge, wenn er nicht gerade versucht, sich wie Maurice aufzuspielen.«
    Mit einem Satz war Chiara an der Tür und hielt Köhler auf. »Du hältst ihn für netter als Maurice?«, flüsterte sie und sah ihm lauernd in die Augen.
    Köhler wich ihrem Blick aus. »Ja«, flüsterte er. »Maurice war zu sehr wie, wie …«
    »Gero?«, fragte Chiara.
    Köhler nickte, dann schlurfte er davon in Richtung Kellertreppe. Chiara wartete, bis sie die Tür der Souterrainwohnung zuschlagen hörte.

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