Dunkler Zwilling
sanft mit der Faust in die Seite. »Sei nicht so stolz!«, sagte sie lächelnd und küsste ihn.
Schorsch kam angesaust und sprang bellend an den beiden hoch. Max drückte ihn nach unten und löste sich von Chiara. »Der Hund muss abgelenkt werden«, erklärte er und formte einen kleinen, festen Schneeball, den er mit aller Kraft von sich warf. Schorsch konnte jedoch die Flugbahn des Balls in dem trüben Licht nicht ausmachen. Er stürzte zwar in die Wurfrichtung davon, stoppte dann aber, suchte schwanzwedelnd auf dem Boden und rannte plötzlich zu den verfallenen Schrebergärten hinüber. Max pfiff, doch Schorsch reagierte nicht und war bald zwischen den Hütten verschwunden.
»Oh, nee«, stöhnte Max, »da gibt es bestimmt jede Menge Kaninchen.«
»Und Ratten und Mäuse«, ergänzte Chiara schaudernd.
»Ich geh ihn holen. Bin gleich wieder da.« Er setzte sich in Bewegung. Chiara blieb jedoch nicht zurück, sondern griff nach seiner Hand und folgte ihm.
Das Eingangstor der Anlage hing schief in den Angeln. Schorsch musste sich durch den Spalt am Boden durchgemogelt haben. Max zeigte auf die frischen Pfotenabdrücke im Schnee und stutzte. Auch Chiara erkannte auf Anhieb, worauf Max aufmerksam geworden war. Hinter dem Tor war Schnee aufgehäuft und eine verschneite Schleifspur zeigte, dass dieses Tor vor Beginn des nachmittäglichen Schneefalls aufgeschoben worden war. Auch gab es Abdrücke im Schnee, die zwar mit neuem Schnee gefüllt, aber immer noch sichtbar waren. »Schuhgröße 35 oder 36 würd ich mal sagen«, spekulierte Max.
»Kinderschuhe«, deutete Chiara.
Sie öffneten das Tor und folgten den Spuren. Sie führten einen schmalen Weg entlang, an dem zu beiden Seiten kleine Gartenparzellen abgeteilt waren. Überall bot sich ihnen das gleiche Bild wie von außen. Die Hütten waren zerstört, die Zäune durchlöchert. In manchen hingen noch Gartentore, an denen verblichene Schilder mit Aufschriften wie »Gerdas Paradies« oder »Trauminsel« befestigt waren. Die Spuren führten bis weit in den hinteren Teil des Geländes. Hier war das Ausmaß mutwilliger Zerstörung nicht so groß. Die Gärten waren zwar mit borstigem, braunem Kraut überwuchert, doch die Hütten wirkten so, als hätten die Bewohner sie nur kurzzeitig verlassen. Hinter einem Fenster hingen rot-weiß-karierte Vorhänge. Auf einer kleinen Holzterrasse stand ein Korbstuhl mit einem weißen Schneepolster als Sitzfläche. Die Spuren endeten vor einem Tor aus blau gestrichenen Holzlatten, von denen die Farbe abblätterte. Am Tor war mit Kordel eine Holzlatte im Querformat angebracht. Mit schwarzer Farbe, die an manchen Stellen in Nasen herabgelaufen war, stand in schiefen Buchstaben das Wort MITTELERDE .
»Hier wohnt also der Herr der Ringe«, sagte Chiara spöttisch und schaute über das verwilderte und mit alten Gerätschaften und Schrott übersäte Grundstück.
»Sieht eher so aus, als wohnten hier die Olchis von der Müllhalde«, zitierte Max ein Buch aus seiner Kinderzeit.
»Der kleine Hobbit ist da drüben zu der Hütte gelaufen«, stellte Chiara fest und deutete auf die Spuren im Schnee.
In dem Moment wurde Max von Schorsch angesprungen, der von irgendwoher zurückgekehrt war und nun ein Begrüßungsfest feierte, als habe er Max jahrelang nicht gesehen. Max hockte sich hinab zu seinem Hund und sortierte ihm Tannennadeln, Hölzchen und Eisklümpchen aus dem langen Fell an Ohren und Beinen. Dabei redete er sanft auf das Tier ein: »Du bist vielleicht einer. Wie oft soll ich dir noch erklären, dass du nie im Leben ein Kaninchen erwischen wirst. Und jetzt hast du wieder den halben Wald in den Ohren.«
»Riechst du das?«, unterbrach Chiara ihn.
Max richtete sich auf. »Holzfeuer«, stellte er fest.
Beide sahen gleichzeitig hinüber zum Dach der Hütte. Und tatsächlich, aus einem metallenen Rohr zog eine dünne Rauchfahne.
»Sollen wir reingehen?«, fragte Chiara.
Max nickte. »Mit Schuhgröße 36 werde ich noch fertig. Außerdem haben wir einen Kampfhund dabei.« Er löste einen Draht, mit dem das Tor notdürftig verriegelt war und schob es nach innen auf. Schorsch sauste voran und kratzte sofort an der Hüttentür. »Das kann nur heißen, dass es da drin was zu essen gibt«, erklärte Max. Nachdem trotz ihres Klopfens und Rufens keine Reaktion erfolgt war, betätigte Max die Klinke. Die Tür ließ sich ohne Probleme öffnen. Wohlige Wärme schlug ihnen entgegen und der Geruch eines Fertiggerichtes mit Tomatensoße.Gegenüber der
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