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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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betrachtete es mit vorgeschobener Unterlippe. Das Band war etwa 10 Zentimeter lang und hatte am einen Ende einen Knoten. »Keine Ahnung«, sagte er. »Was soll das sein?«
    Chiara nahm das Band wieder an sich. »Es war zusammengeknotet und ist dann dicht neben dem Knoten aufgeschnitten worden. Schau, so war es.« Sie formte das Band zu einem Ring. »Es sieht aus wie eine Art Freundschaftsbändchen.«
    Max verzog kritisch das Gesicht. »Dann ist das aber ein Zwergenhandgelenk, um das es gebunden war.«
    »Von einem Neugeborenen vielleicht. Wetten, dass du das umgebunden hattest?«
    Max nahm das Band wieder an sich. »So winzig!«, hauchte er. Dann kniff er die Augen zusammen. »Da steht etwas drauf!« Er sprang auf und hielt das Band ins Licht vor dem Fenster.
    Chiara war neben ihn getreten und entzifferte: »Ein offenes Dreieck. Es ist mit Kugelschreiber geschrieben. Es könnte ein »A« sein.«
    »Oder eine Eins«, vermutete Max.
    »Ich denke eher ein A«, erklärte Chiara. »Wahrscheinlich ist das der Anfangsbuchstabe eines Namens, vielleicht von den Eltern.«
    Max kniff erneut die Augen zusammen: »Oder doch eine Eins. Eine Nummer Eins, weil es nämlich noch eine Nummer Zwei gab.«
    »Das ist völlig verrückt, Max! Wer ist denn so pervers und nummeriert seine Kinder durch statt ihnen Namen zu geben?«
    »Vielleicht Leute, die so pervers sind, ihre Kinder gleich nach der Geburt umbringen zu lassen!«
    Chiara schüttelte abwehrend den Kopf. »Blödsinn! Komm, mach den Brief auf!«
    Max öffnete den Umschlag und las vor:
    Modertal, den 14. Juni 2011
    Lieber Maximillian,
    wenn Du diesen Brief öffnest und liest, wird es vermutlich der 1. März 2015, Dein 18. Geburtstag sein. Deine Eltern werden mit Dir gesprochen haben und es ist ihnen bestimmt nicht leichtgefallen, Dir Deine Herkunft zu offenbaren und Dir zu sagen, dass sie nicht Deine leiblichen Eltern sind.
    Ich kann mir gut vorstellen, dass Du nun sehr erschüttert bist und ihnen vielleicht sogar übel nimmst, dass sie Dir das so lange verschwiegen haben. Die Meinungen sind sehr geteilt darüber, ob es sinnvoll ist, adoptierten Kindern von Anfang an zu sagen, dass sie noch andere (leibliche) Eltern haben oder ob man dies erst zu einem Zeitpunkt tun sollte, an dem sie erwachsen sind und sich vom Elternhaus lösen. Beides hat Vor- und Nachteile. Ich möchte Dich von Herzen bitten, die Entscheidung Deiner Eltern zu respektieren und ihnen nicht böse zu sein.
    Glaube mir, ich kann beurteilen, dass sie sich immer liebevoll um Dich gekümmert haben und Du Ihnen so kostbar bist wie ein eigenes Kind, vielleicht noch viel kostbarer. Bestimmt haben sie Dir das heute auch so beteuert, aber Du bist vermutlich entsetzt und enttäuscht. Du wunderst Dich wahrscheinlich, warum ich Dir schreibe. Ich, eine alte Frau, deren Namen du vermutlich noch nie gehört hast und die zu dem Zeitpunkt, an dem Du den Brief lesen wirst, längst unter der Erde liegt. Ich weiß das so genau, weil ich vor Kurzem eine entsprechende ärztliche Diagnose erhalten habe. Wenn man mit dem Tod konfrontiert ist, blickt man auf sein vergangenes Leben zurück und zieht Bilanz. Ich bin ein gläubiger Mensch und möchte noch einige Dinge, die mich über viele Jahre belastet haben, in Ordnung bringen. Dazu gehört auch die Angelegenheit mit Dir.
    Mein Name ist Brigitte Wiesner. Bis 1997 arbeitete ich als freiberufliche Hebamme. Deine Oma kennt mich gut. Man kann sagen, wir sind befreundet. Ich schätze an ihr besonders, dass man ihr vertrauen kann. Sie ist ein sehr verlässlicher Mensch. Daher habe ich ihr diesen Brief an Dich anvertraut. Lieber Maximillian, ich bin die Frau, die Dich am 6. März 1997 am späten Nachmittag in der Universitätsklinik ausgesetzt hat. Ich bin nicht Deine Mutter, aber ich habe das im Auftrag Deiner leiblichen Eltern getan. Jahrelang war ich hin- und hergerissen, ob ich mein Schweigen brechen und Dir Deine Herkunft verraten soll. Jetzt schreibe ich Dir diesen Brief, weil ich Dich eindringlich bitten möchte, nicht nach diesen Eltern zu suchen. Sie gaben mir damals den Auftrag, Dich zu töten! Ich habe ihn nicht ausgeführt. Dies sollte für Dich Grund genug sein, Dich niemals diesen Menschen nähern zu wollen! Nach wie vor würde es Lebensgefahr für Dich bedeuten!
    Dennoch gebe ich Dir die Freiheit, Dich Deinem Schicksal zu stellen.
    Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute auf Deinem weiteren Lebensweg und ein hohes Alter in Frieden und Gesundheit!
    Brigitte Wiesner
    Max legte die

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