Dunkler Zwilling
Briefbögen enttäuscht beiseite. »Was sagt sie in diesem Brief, das wir nicht schon durch den anderen Brief wissen?«
Chiara nahm sich das zweite Blatt noch einmal vor: »Dieser Satz hier ist seltsam. Dennoch gebe ich dir die Freiheit … «
Max brummte unwillig. »Ist doch ganz einfach, sie warnt mich vor diesen Eltern, aber sie stellt es mir trotzdem frei, nach ihnen zu suchen. Allerdings gibt sie mir dafür keinerlei Hinweise, sondern nur dummes Geschwafel von Gewissen und Glauben. Sie hätte den Mut haben müssen, mir wenigstens ein Fünkchen von einem Hinweis zu geben. Eine winzige Chance! Aber nichts!«
»Vielleicht hat sie das ja, aber wir sehen es nicht. Wir müssen diese Briefe noch einmal ganz genau lesen oder dieses rote Band untersuchen …«
»Oder das hier vielleicht.« Max griff nach der Fotokopie und betrachtete das Blatt. »Das ist nicht einfach nur eine Fotokopie, sondern das ist irgendwie bearbeitet. Siehst du, durch manche Wörter gehen Striche.«
Chiara nickte. »Es ist eine schlechte Kopie. Auf dem Original wäre das bestimmt besser zu sehen.«
»Und wo ist das Original?«, fragte Max.
»Vielleicht lag es in der Tragetasche, in der du ausgesetzt wurdest.«
»Und warum haben meine Eltern das dann nicht bekommen?«
»Das kann dir wahrscheinlich jemand vom Jugendamt erklären.«
»Renate Herold hat früher dort gearbeitet. Vielleicht kann sie …«
»Lass es uns erst einmal selbst versuchen!« Chiara stand auf. Sie legte das Blatt gegen die Fensterscheibe. Jetzt waren die feinen Linien besser zu erkennen. Mit einem Bleistift fuhr sie die Linien nach und legte Max das Blatt zurück auf die Decke. Beide betrachteten sie aufmerksam den Text.
Ach, was muss man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
welche Max und Moritz hießen;
Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten. –
– Ja, zur Übeltätigkeit,
Ja, dazu ist man bereit!
– Menschen necken, Tiere quälen,
Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen –
Das ist freilich angenehmer,
Und dazu auch viel bequemer,
Als in Kirche oder Schule
Festzusitzen auf dem Stuhle.
– Aber wehe, wehe, wehe!
Wenn ich auf das Ende sehe!! –
– Ach, das war ein schlimmes Ding,
wie es Max und Moritz ging.
– Drum ist hier, was sie getrieben
Abgemalt und aufgeschrieben.
Chiara ergriff das Wort, während Max noch nachdenklich über dem Text brütete. »Wenn man nur das liest, was nicht gestrichen wurde, ergibt es einen ganz anderen Sinn.«
Max nickte und murmelte leise: » Ach, das war ein schlimmes Ding, wie es Max und Moritz ging . Sie weist damit doch eindeutig auf zwei Kinder hin. Maximillian und Maurice.«
»Möglich«, sagte Chiara, »aber ein Beweis ist das noch lange nicht.«
»Aber auf jeden Fall weiß ich jetzt, warum sie mir eine Geburtsurkunde auf Maximillian Busch ausgestellt haben. Dieses Blatt lag in der Tragetasche und, sieh hier, der Name Max ist nicht durchgestrichen.«
Chiara nickte nachdenklich. »Ich glaube immer noch, dass der Schlüssel in den Briefen liegt. Und …«
Max nahm noch einmal die Fotokopie in die Hand und pfiff durch die Zähne. »Vielleicht ist es ja viel wichtiger, das Buch zu finden, aus dem diese Seite herausgerissen wurde.«
»Vermutlich ist es im Haus der Wiesner verbrannt oder im Haus deiner Oma.«
»Möglich. Oder es steht ganz woanders«, überlegte Max.
Um Chiaras Augen zuckte es plötzlich.
»Ist was?«, fragte Max.
Chiara schüttelte den Kopf. Sie brauchte eine Weile, bis sie wieder etwas sagen konnte. »Jedenfalls ist es so, dass der Brandstifter, sofern er es auf die Unterlagen der Wiesner abgesehen hat, nicht wissen konnte, dass sie ihn gar nicht verrät. Er glaubt, dass da die Namen deiner leiblichen Eltern drinstehen und warum sie den Mordauftrag erteilt haben.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Max bitter. »Nach meinen Mördereltern suchen? Wie sollen wir das anstellen? Vielleicht machen wir einfach einen Aushang: Hallo Mörder, ich habe keine Ahnung, wer du bist, du bist fein raus ohne Beweise. Kannst mich in Ruhe lassen .«
»Er wird dich in Ruhe lassen, weil er sich sicher ist, dass im Haus deiner Oma alles verbrannt ist.« Chiara griff sanft nach Max’ Arm. »Sei nicht so gefrustet. Eigentlich weißt du doch jetzt ziemlich viel über deine Herkunft. Und ob es da einen Zusammenhang zu den Bentheims oder Maurice gibt, wirst du wahrscheinlich nie
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