Dunkles Begehren
Jagdgebiet für Lucian. Er
würde bald zu jagen beginnen. Die Morde, die Todesfälle, die endlose Jagd und
die vielen Schlachten. Dort draußen schlich ein gnadenloser Mörder durch die
schlafende Stadt. Niemand konnte sich in Sicherheit wiegen, bis Gabriel ihn vernichtet
hatte. Da er nun Francesca beschützen musste, wusste Gabriel, dass er diese
Schlacht gewinnen musste. Er würde einen Weg finden, seinen Bruder unschädlich
zu machen. Vielleicht hatte er in der Vergangenheit aus falscher Loyalität
gezögert, doch diese Möglichkeit gab es nun nicht mehr. Er musste Francesca
vor allem Unheil bewahren. Schweren Herzens nahm Gabriel Anlauf und warf sich
in die Luft.
Francesca ließ sich
auf ihrem Weg ins Krankenhaus viel Zeit. Sie liebte die Nacht. So sehr sie sich
auch nach der Sonne gesehnt und darum gekämpft hatte, in ihrem Schein spazieren
zu gehen, liebte sie doch die Nacht. Tagsüber regierte das Chaos, während die
Nacht friedlich und still war. Auch genoss sie es, die Geräusche der Nachttiere
zu hören, die kaum ein Sterblicher wahrnahm. Schon immer war sie ein Teil
dieser geheimen Welt gewesen, und nun verlangte Gabriel von ihr, dass sie
dorthin zurückkehrte.
Wann hatte sie zum
letzten Mal ihre Heimat in den Karpaten gesehen? Wie würde es ihr gefallen,
sich unter Karpatianern zu bewegen? Ihre Hände tief in die reichhaltige,
heilende Erde zu tauchen? Schon längst hatte Francesca diesen Traum aufgegeben.
Warum nur war er jetzt zu ihr zurückgekehrt? Was empfand sie für Brice ?
Konnte sie sich Gabriel so rückhaltlos hingeben, obwohl sie Zuneigung für
Brice empfand? Gabriel hatte sie nicht gegen ihren Willen genommen. Zwar mochte
er sie mit einem Befehl geweckt haben, doch sie war keine unerfahrene Frau.
Sie konnte Gabriel nicht die Schuld geben. Schließlich hätte sie ihn jederzeit
davon abhalten oder es ihm zumindest nicht so leicht machen können. Nein, sie
hatte sich vom ersten Augenblick an nach ihm gesehnt.
Was bedeutete das?
War sie eine Frau, die zwei Männer gleichzeitig lieben konnte? Liebte sie
Brice? Wenn es so war, warum hatte sie dann nicht längst eingewilligt, seine
Frau zu werden? Hatte Gabriel Recht? Flüchtete sie sich zu Brice, weil er ihr
vertraut war? Weil er ein Mann war, der niemals über sie bestimmen würde ? Oder
empfand sie noch immer den Schmerz und die Demütigung eines jungen Mädchens?
Francesca hatte geglaubt, längst darüber hinweg zu sein.
Sie war an Gabriel
gebunden. Ihre Seele und ihr Körper sehnten sich nach ihm. Sie gehörten
zusammen, doch ihr Herz schien anders darüber zu denken. Wie konnte das sein?
War es ihr gelungen, sich den Sterblichen so sehr anzugleichen, dass die Worte
des Rituals nicht mehr wirkten? Nein, denn sie hatte das brennende Verlangen,
den schrecklichen Hunger verspürt, den nur Gabriel stillen konnte.
Seufzend rieb sich
Francesca die pochenden Schläfen. Sie hatte ihre eigenen Prinzipien verraten.
Zwar hatte sie Brice keine eindeutige Antwort gegeben, war jedoch im Stillen
davon ausgegangen, dass sie eine Chance haben würden. Brice liebte sie
aufrichtig. Es war ihm unmöglich, sie zu täuschen, da sie so mühelos seine
Gedanken lesen konnte. Er wäre sehr verletzt, wenn sie sich jetzt plötzlich aus
der Beziehung zu ihm zurückziehen würde. Schließlich hatte sie zugelassen,
dass er etwas für sie empfand. Damit trug sie die Verantwortung. Francesca
fühlte sich verwirrt und einsam. Und sie war es leid, ständig allein zu leben.
Nicht allein, Francesca. Ich
bin hier, um mit dir zu sprechen. Du brauchst dich nicht zu schämen.
Schließlich bin ich unerwartet in dein Leben getreten. Zwar macht es mich
nicht gerade glücklich, dass du ständig an einen anderen Mann denkst, doch ich
verstehe es. Ich bin eine Komplikation in deinem Leben.
Francesca blinzelte
mit Tränen in den Augen. Sie fühlte sich getröstet, als sie die Stimme in ihren
Gedanken hörte, die ihr beruhigende, freundschaftliche Worte zuflüsterte,
während es ihr schlecht ging. Es war schon so lange her, dass sie diese Form
der Kommunikation benutzt hatte. Gabriels Stimme war eine mächtige Waffe,
strich jedoch wie eine Liebkosung durch ihre Gedanken. Zum ersten Mal in ihrem
langen Leben fühlte sie sich nicht allein. Auch karpatianische Frauen brauchten
ihre andere Hälfte. Gabriel. Sie schloss die Augen. Warum war er gerade jetzt
zu ihr zurückgekehrt?
»Francesca! Gott
sei Dank.« Brice eilte aus einer Nische bei der Notaufnahme auf sie zu. »Ich
bin um Jahre
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