Dunkles Begehren
zu
können, hielt ihn davon ab. Er durfte es dem Ungeheuer in seiner Seele nicht
gestatten, ihn zu kontrollieren. Er musste seine Pflicht erfüllen, für sein
Volk, die Sterblichen, doch vor allem für seinen geliebten Bruder. Lucian war
sein Held gewesen, den er über alle anderen gestellt hatte. Und Lucian hatte es
verdient gehabt. Sie hatten einander ein Versprechen gegeben
Gabriel würde es
halten, wie auch Lucian es an seiner Stelle gehalten hätte. Gabriel würde nicht
zulassen, dass ein anderer Vampirjäger seinen Bruder zur Strecke brachte. Das
war allein seine Aufgabe.
Der Blutgeruch war
überwältigend. Er quälte Gabriel ebenso sehr wie der schreckliche Hunger. Er
hörte, wie das Blut durch die Adern der Sterblichen rauschte, mit jedem
Herzschlag pulsierte und ihn mit seiner Lebenskraft verlockte. In seinem
geschwächten Zustand würde es ihm nicht gelingen, sein Opfer zu kontrollieren
und zu beruhigen. Dieser Umstand würde das Ungeheuer in seiner Seele nur noch
gefährlicher machen.
»Monsieur, kann ich
Ihnen helfen? Geht es Ihnen nicht gut?« Es war die schönste Stimme, die Gabriel
je gehört hatte. Sie sprach perfektes Französisch ohne jeden Akzent, doch er
war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich Französin war. Erstaunt stellte er
fest, dass ihre Worte ihn trösteten, als könnte allein ihre Stimme ihn von
seinen Sorgen befreien.
Gabriel schauderte.
Keinesfalls wollte er sich an einer unschuldigen Frau vergreifen. Ohne sie
anzusehen, schüttelte er den Kopf und ging weiter. Doch er war so geschwächt,
dass er stolperte und gegen die Frau stieß. Sie war schlank, aber überraschend
kräftig. Sofort legte sie den Arm um ihn, ohne sich um den erdigen Geruch zu
kümmern, der von ihm ausging. Als sie ihn berührte, breitete sich ein Gefühl
des Friedens in seiner gequälten Seele aus. Der gnadenlose Hunger schien ein
wenig nachzulassen, und solange sie ihn berührte, würde es ihm gelingen, die
Selbstbeherrschung zu wahren, das spürte er.
Absichtlich wandte er
das Gesicht von ihr ab, denn das rote Glühen des Dämons spiegelte sich gewiss
in seinen Augen. Die Nähe dieser Frau hätte seine gewalttätigen Instinkte
hervorrufen sollen, doch stattdessen beruhigte sie ihn. Er war fest entschlössen,
sie keinesfalls als Opfer zu missbrauchen. Er spürte ihre Güte, ihre feste
Entschlossenheit, ihm zu helfen, ihre Selbstlosigkeit. Einzig ihr Mitgefühl und
ihre Güte hielten ihn davon ab, seine Zähne tief in ihren Hals zu schlagen,
obwohl jede Faser seines Körpers nach Nahrung verlangte, damit er seine Kräfte
zurückerlangen konnte.
Die Frau drängte ihn
auf eine glänzende Maschine am Straßenrand zu. »Sind Sie verletzt oder einfach
nur hungrig?«, fragte sie. »Es gibt in der Nähe ein Obdachlosenasyl. Dort
können Sie die Nacht verbringen und eine warme Mahlzeit zu sich nehmen. Ich
werde Sie dorthin bringen. Dies ist mein Auto. Bitte steigen Sie ein, und
lassen Sie mich Ihnen helfen.«
Ihre Stimme erschien
ihm wie ein verführerisches, sinnliches Flüstern. Gabriel fürchtete um ihr
Leben und um seine eigene Seele. Doch er war viel zu schwach, um ihr zu
widerstehen. Er gestattete ihr, ihn in das Auto zu setzen, zog sich jedoch so
weit wie möglich von ihr zurück. Da sie ihn nun nicht mehr berührte, hörte er
deutlich das Blut, das in ihren Adern rauschte. Sein Hunger wurde so
überwältigend, dass ihn das Verlangen danach, seine Zähne in ihren zarten Hals
zu drücken, heftig erbeben ließ. Er hörte ihren kräftigen Herzschlag, der ihn
um den Verstand zu bringen drohte.
»Mein Name ist
Francesca Del Ponce«, erklärte sie sanft. »Bitte sagen Sie mir, ob Sie verletzt
sind oder ärztliche Betreuung brauchen. Machen Sie sich um die Kosten keine
Sorgen. Ich habe im Krankenhaus Freunde, die Ihnen helfen werden.« In ihren
Gedanken las Gabriel eine weitere Tatsache, die sie ihm verschwieg: Sie brachte
oft Obdachlose ins Krankenhaus und bezahlte die Rechnung selbst.
Gabriel schwieg. Mit
letzter Kraft schirmte er seine Gedanken ab. Diese Schutzmaßnahme, die Lucian
ihm bereits als Kind beigebracht hatte, war ihm zur zweiten Natur geworden.
Die Verlockung des
Blutes war überwältigend. Nur die Güte, die von dieser Frau ausstrahlte,
hinderte Gabriel daran, über sie herzufallen und seinem ausgehungerten Körper
die Nahrung zu geben, die er so dringend brauchte.
Besorgt betrachtete
Francesca den alten Mann. Zwar hatte sie sein Gesicht nicht deutlich sehen
können, doch er schien aschfahl vor
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