Dunkles Geheimnis
mich.
Es fiel mir immer schwerer, mir irgendeine Bemerkung auszudenken.
Natürlich kam es immer wieder mal vor, dass Jo und ich beieinanderstanden, ohne zu reden, aber mit Jo fühlte sich das Schweigen nie anstrengend an. Nicht so wie mit Leuten, die man nicht kennt und mit denen man losplappern muss, damit keine peinliche Stille entsteht.
Ich fragte mich, ob ich sie wirklich noch so gut kannte wie früher.
Konnte ein einziger Sommer die Freundschaft vieler Jahre ausradieren?
Soll ich sie fragen?
„… stressig, es rechtzeitig zu schaffen, weil wir achthundert Kilometer fahren müssen …“
Wovon redet sie?
Sicher über irgendein Turnier.
Dann wäre es voll verkehrt, mittendrin irgendwas Schwerwiegendes aufzugreifen. Sie würde sofort kapieren, dass ich nicht zugehört hatte.
„Mhm“, schob ich ein.
Hatte sie sich verändert oder ich mich? Ich wusste ziemlich wenig darüber, was sie in den Ferien gemacht hatte.
„Chattest du noch mit diesem Jungen, den du im Sommer getroffen hast?“
Die Worte entschlüpften mir, bevor ich sie daran hindern konnte.
Wahrscheinlich unterbrach ich sie mitten in etwas, das ihr wichtig war, sie sah mich nämlich gereizt an.
„Klar, ich verstehe, dass du dich nicht besonders für meine Turniere interessierst.“
„Doch, doch! Aber du hast gerade etwas gesagt, wobei ich an ihn denken musste.“
„Was denn?“, fragte sie misstrauisch.
Mein Gehirn lief auf Hochtouren. Hatte sie nicht etwas von achthundert Kilometern erwähnt?
„Große Abstände“, sagte ich auf gut Glück. „Ihr könnt euch ja nicht allzu oft sehen.“
Sie nickte.
Ich hatte den Test bestanden!
„Nein“, sagte sie wehmütig. „Wir chatten zwar und mailen auch, aber … ich weiß nicht recht.“
„Ich verstehe“, sagte ich.
Liebe auf Distanz, das war nicht dasselbe. Genau wie Freundschaft.
Sie lächelte mir zu.
Als wir reingingen, setzte sie sich wieder neben mich.
SAMSTAG
„Hallo, hier ist Tea!“
Ich musste erst überlegen.
Mein „Hallo“ klang daher etwas zögernd.
„Teds Schwester.“
Im selben Moment, als mir einfiel, wer sie war, fügte sie hinzu:
„Also … du hast gesagt, du kannst mir vielleicht helfen.“
Ja, das hatte ich getan.
„Mhm.“
„Jetzt wollte ich fragen, ob du dafür Zeit hast?“
„Wann denn?“
„Wann es dir passt.“
Ich war schon mit Wuff beim Laufen gewesen, war mit Papa geschwommen und hatte Mittag gegessen. Mehr stand nicht auf dem Programm.
„Tja, ich könnte jetzt kommen … aber heute Abend hab ich was vor.“
Letzteres musste ich einfach hinzufügen, obwohl es nicht der Wahrheit entsprach. Es hätte zu traurig geklungen, dass ich an einem Samstagabend nichts vorhatte.
„Ted holt dich in einer halben Stunde ab.“
„Nein, ich kann doch radeln …“
„Klar kannst du das“, unterbrach sie mich. „Aber das sollst du nicht. Er hat sowieso nichts anderes vor.“
Er also auch nicht.
Genau eine halbe Stunde später stand Teds Mazda vor unserem Haus. Er stieg nicht aus, sonder hupte nur zweimal.
Ich hatte mich geschminkt und trug Jeans und ein rotes Top, das ich meistens nur anhabe, wenn ich auf ein Fest gehe – was selten genug vorkommt.
„Wegen Tea“, sagte ich zu Mama, als sie wissen wollte, warum ich mich so hübsch gemacht hatte.
„Aber ist die nicht …“
„Tschüs!“
Ted sah blass und ernst aus, als ich ins Auto stieg, und murmelte nur kurz hallo, ohne mir in die Augen zu sehen.
„Wie geht’s?“, fragte ich zögernd.
Ich hoffte, dass er mich anschauen und hübsch finden würde.
„Gut.“
Ich musterte sein Profil.
„Du siehst müde aus.“
„Ja, ich … hab die ganze Nacht Computerspiele gespielt.“
Das war die schlechteste Ausrede, die ich je gehört hatte.
Seine Stimme klang belegt, als hätte er geweint.
Aber er war mein Lehrer und würde mir kaum sein Herz ausschütten.
„Wirklich nett von dir, dass du das machst“, fügte er hinzu. „Also, ehrlich, ich und Klamotten!“
Er versuchte munter zu klingen. Da stimmte irgendwas nicht.
„Hat sie denn keine Freunde?“
Ich bereute meine Frage im selben Moment, als sie mir entschlüpfte. Das klang so plump.
Er seufzte.
„Das frage ich mich auch. Als sie krank wurde, haben viele versprochen, ihr zu helfen, aber dann hat kein Mensch sie besucht. Als befürchteten sie, ihre Krankheit könnte ansteckend sein!“
Dann unterhielten wir uns über das letzte Training, bis wir ankamen.
Er ließ den Motor laufen, während er mir die Haustür
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