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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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offen und es lohnt sich, die Gefahr zu riskieren, vom Boot drüben aus erschossen zu werden; nachts zum Beispiel.« Ich sprach den Satz nicht zu Ende; ein natürlicher Instinkt hieß mich schweigen. Gunga Daß aber erriet meine unausgesprochenen Worte und brach zu meinem Erstaunen in ein Lachen aus – in ein so spöttisches Lachen, wie es sich nicht einmal ein mir im Range Höherstehender hätte erlauben dürfen.
    »Sie werden (schon nach seinen ersten Sätzen hatte er unterlassen, mich mit dem Titel ›Sir‹ anzureden) auf diesem Weg nicht entkommen, mein Lieber. Sie können es ja versuchen, wenn Sie wollen. Ich hab's auch versucht. Aber nur einmal.«
    Das Gefühl eines unbeschreiblichen Schreckens, gegen das ich vergebens anzukämpfen versuchte, überfiel mich. Das lange Fasten – es war bereits zehn Uhr geworden –, dazu der aufregende nächtliche Ritt, kurz: ich war erschöpft; ich fürchte, ich habe mich damals eine Zeitlang wie ein Wahnsinniger gebärdet. Ich rannte gegen den Sandhügel an, lief im Kreis in dem Krater herum und betete und fluchte gotteslästerlich in einem Atem. Ich kroch zwischen Schilfgras hinaus auf die Flußufersandbänke, nur um immer wieder und wieder durch Flintenschüsse, die rings um mich herum Furchen in den Sand zogen, in die Agonie nervöser Angst versetzt und zurückgejagt zu werden. Ich wollte den Gedanken nicht dulden, wie ein toller Hund hier unter diesem gräßlichen Volk sterben zu müssen, und stürzte schließlich, erschöpft und rasend vor Wut, am Brunnen nieder. Niemand nahm die geringste Notiz von mir, und heute noch treibt es mir die Röte ins Gesicht, wenn ich mir vorstelle, wie ich mich damals gebärdet habe.
    Zwei oder drei dieser Menschen traten auf meinen zuckenden Leib, als sie Wasser schöpfen kamen; sie schienen an derlei Vorgänge gewöhnt zu sein, und hatten keine Zeit für mich übrig. Nur Gunga Daß unterzog sich der Mühe, mir, nachdem er die glimmenden Kohlen seines Feuers mit Sand erstickt hatte, einen halben Becher fauligen Wassers über den Kopf zu gießen; ich hätte ihm dafür gerne auf den Knien gedankt, wenn er nur nicht immer mit demselben freudlosen keuchenden Ton, wie anfangs, als er mich erkannt hatte, gelacht hätte.
    So lag ich, halb ohnmächtig, bis zum Nachmittag. Da ich auch nur ein Mensch bin, fühlte ich Hunger und sagte es Gunga Daß, in dem ich allmählich meinen natürlichen Beschützer zu sehen begann. An den Verkehr mit Eingeborenen gewöhnt, zog ich vier Annas aus der Tasche, um sie ihm zu geben; gleich darauf sah ich das Absurde einer solchen Gabe an einem Orte wie diesem ein und wollte das Geld wieder einstecken.
    Aber Gunga Daß schrie: »Geben Sie mir das Geld! Alles, was Sie haben! Oder ich hole Hilfe, und wir schlagen Sie tot!«
    Ich glaube, jedes Briten erster Impuls ist, den Inhalt seiner Tasche zu behüten; aber ein Augenblick der Überlegung sagte mir, wie töricht es wäre, mit dem einzigen Menschen, der mir mein Los erleichtern konnte, in Streit zu geraten. Ich gab ihm also alles Geld, das ich bei mir hatte: neun Rupien, acht Annas und fünf Pies. (Ich trug immer, wenn ich im Lager war, Kleingeld für Bakschisch bei mir.) Gunga Daß versteckte das Geld rasch in seinem zerlumpten Lendentuch und blickte sich scheu um, ob es auch niemand gesehen hätte.
    »Gut, jetzt will ich Ihnen auch zu essen geben«, sagte er.
    Welche Genüsse er sich für das Geld glaubte verschaffen zu können, bin ich außerstande zu sagen, aber ich gab es ihm, da ich sah, daß es ihm Freude machte; jedenfalls wäre ich umgebracht worden, wenn ich es ihm verweigert hätte. Man reizt wilde Bestien nicht unnötigerweise, und meine Gefährten standen tiefer als wilde Tiere. Sie ließen mich ruhig essen, was mir Gunga Daß gab: ein rohes Chapatti und einen Becher faules Brunnenwasser, und zeigten nicht die geringste Spur der in indischen Dörfern sonst so üblichen Neugier.
    Ich hatte den Eindruck, als verachteten sie mich; jedenfalls brachten sie mir die kühlste Gleichgültigkeit entgegen, Gunga Daß sowohl, wie auch alle andern. Ich bestürmte ihn mit Fragen über das schreckliche Dorf, erhielt aber nur sehr ungenügende Antworten. Soviel ich mir zusammenreimen konnte, existierte es seit »unvordenklichen« Zeiten, woraus ich schloß, es müsse mindestens hundert Jahre alt sein – und niemals sei auch nur ein einziger daraus entkommen. (Ich mußte die Zähne zusammenbeißen, damit mich nicht abermals das Entsetzen packte und mich wie vorhin in dem

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