Dunkles Indien
lachen, wenn ich mir die Situation vergegenwärtige, damals aber schien sie mir fürchterlich. – Er stellte die Bedingungen, unter denen er für mich sorgen wollte, folgendermaßen fest: Für meine neun Rupien und acht Annas sollte ich, den Tagespreis zu drei Annas berechnet, einundfünfzig Tage oder sieben Wochen lang verköstigt werden; das heißt, diese Zeit hindurch wolle er für meinen Lebensunterhalt sorgen. Nach Ablauf dieser Frist hätte ich mich selbst zu erhalten. Für ein weiteres Entgelt – nämlich meine Stiefel – würde er mir gestatten, die Höhle neben der seinigen zu beziehen, außerdem wolle er mir so viel von seinem Vorrat an getrocknetem Gras als Bettzeug überlassen, wie er gerade entbehren könne.
»Also gut, Gunga Daß«, erwiderte ich, »auf die erste Bedingung gehe ich ganz gerne ein, aber da mich nichts hindern kann, dir den Schädel einzuschlagen, so wie du da sitzt, und dir alles wegzunehmen, was du hast (ich dachte dabei an die zwei unschätzbaren Krähen), so weigere ich mich rundweg, dir meine Stiefel zu geben, und werde mir die Höhle nehmen, die mir am besten gefällt.«
Es war ein kühnes Wagnis, und ich war froh, daß es glückte. Gunga Daß schlug sofort einen andern Ton an und stellte alle bösen Absichten auf meine Stiefel in Abrede. – Damals schien es mir ganz in Ordnung, daß ich, ein Zivilingenieur, ein Mann von dreißig Jahren und Engländer von gut bürgerlichem Rang, einen Menschen, der mich unter seine Fittiche genommen hatte – wenn auch gegen Bezahlung –, ohne Skrupel mit Beraubung und Totschlag bedrohte. Die Welt, so schien es mir, lag seit Jahrhunderten hinter mir. Ich war damals so überzeugt, wie ich es jetzt von meiner Existenz bin, daß in dieser verfluchten Ansiedelung nur das Gesetz des Stärkeren Geltung haben konnte, daß die lebenden Toten alle Vorschriften einer Welt, die sie ausgestoßen hatte, mißachten mußten und daß mein Leben nur von meiner Kraft und meiner Wachsamkeit abhing. Die Männer eines ohne Segel hilflos auf dem Ozean treibenden Schiffes sind vielleicht die einzigen Menschen, die meinen damaligen Gemütszustand begreifen können. – >Heute noch< – sagte ich mir – >bin ich bei Kräften und kann es mit sechs dieser Elenden aufnehmen. Es ist meiner Sicherheit wegen unter allen Umständen eine zwingende Notwendigkeit für mich, daß ich mir Gesundheit und Kraft bewahre, bis die Stunde meiner Erlösung kommt, – wenn sie jemals kommt.«
Ich aß und trank also, soviel ich konnte, und gab Gunga Daß zu verstehen, daß ich von jetzt an sein Herr sei und ihn beim geringsten Zeichen von Ungehorsam strenge bestrafen – ihn, mit andern Worten, totschlagen würde. Kurz darauf legte ich mich schlafen.
Das heißt, ich ließ mir von Gunga Daß ein paar Arme voll trockenes Gras geben, warf es in den Schlund der Höhle, die rechts neben der seinigen lag, hinab und folgte dann selbst mit den Füßen voraus. Die Höhle erstreckte sich ungefähr neun Fuß in den Sand hinein, mit einem leichten Gefalle nach abwärts, und war ganz sauber mit Holz verkleidet. Von ihrem Innern aus konnte ich das Wasser des Sutlej sehen, wie es unter dem Licht des zunehmenden Mondes dahinfloß.
Ich wollte versuchen zu ruhen, so gut es eben ging; aber die Schrecken dieser Nacht werde ich nie vergessen! Die Höhle war eng wie ein Sarg und ihre Wände waren klebrig und glatt infolge der Berührung der unzähligen nackten Menschenleiber, die früher hier gelegen hatten. Dazu roch es abscheulich. Schlaf war also, zumal bei meiner Erregung, vollkommen ausgeschlossen. Als die Nacht zunahm, konnte ich die Empfindung nicht loswerden, Legionen unreiner Teufel stiegen aus den Niederungen, erfüllten das Amphitheater und verhöhnten die Unglücklichen in ihren Höhlen.
Ich bin nicht phantastisch veranlagt – sehr wenige Ingenieure sind es –, aber damals war ich wie ein Weib vor Schrecken und Entsetzen fast gelähmt. Erst nach ungefähr einer halben Stunde hatte ich mich soweit gefaßt, daß ich wieder ruhig überlegen konnte, auf welche Weise wohl ein Entkommen möglich wäre. Versuche, die steilen Sandwände zu erklimmen, waren vergeblich, das wußte ich. Möglich, aber auch nur eben möglich war es, daß mich die Flintenkugeln von drüben nicht treffen würden – denn das Mondlicht läßt die Umrisse der Dinge nicht klar erscheinen –, wenn ich mich zum Flußufer wagte. Aber der Krater hatte für mich so viel Schrecknisse, daß ich nichts unversucht lassen wollte.
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