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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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schien er keine Furcht vor seinem Herrn zu haben. Dann ging Gunga Daß vorsichtig auf die Flußseite zu, wobei er von einem Grasbüschel auf das andere trat, bis er einen Sandfleck direkt in der Schußlinie des Bootsfeuers erreicht hatte. Die Wächter am andern Ufer nahmen jedoch anscheinend keine Notiz von ihm. Dort blieb Gunga Daß stehen, legte mit ein paar geschickten Handgelenkdrehungen den Vogel auf den Rücken und befestigte ihn irgendwie mit ausgespreizten Flügeln. Natürlich begann die Krähe sofort laut zu schreien und zu krächzen und mit den Klauen in die Luft zu krallen. In wenigen Sekunden hatte ihr Geschrei eine Schar wilder Krähen angelockt, die auf einer, mehrere Meter entfernten Sandbank über einem Etwas, das aussah wie ein Aas, eine Ratsversammlung abhielten. Ein halbes Dutzend flog sofort herbei, um zu sehen, was los sei, und um, falls die Sache ungefährlich, ihren wehrlosen Kameraden anzugreifen. Gunga Daß hatte sich auf ein Grasbüschel niedergelegt und winkte mir zu, ich solle mich ruhig verhalten, was ich übrigens sowieso getan hätte. Im Augenblick und ehe ich noch klar erkennen konnte, wie es zuging, hatte Gunga Daß eine wilde Krähe gepackt, die auf die Gefesselte herabgestoßen war und von dieser mit den Krallen festgehalten wurde. Im Nu hatte er sie gefesselt genau wie die Gezähmte. Neugier, so schien es, trieb auch den Rest der Schar herbei, und kaum hatten Gunga Daß und ich Zeit gefunden, uns zurückzuziehen, schon hatten sich wieder zwei in den aufwärts gekehrten Krallen der Lockvögel gefangen. So ging die Jagd – wenn ich diesem Treiben einen so edlen Namen geben darf – weiter, bis Gunga Daß sieben Krähen gefangen hatte. Fünf erwürgte er auf der Stelle, zwei hob er auf für den späteren Betrieb des Unternehmens. Diese Art, sich Nahrung zu verschaffen, imponierte mir einigermaßen, und ich beglückwünschte Gunga Daß zu seiner Geschicklichkeit.
    »Es hat nicht viel auf sich«, wehrte er ab, »morgen sollen Sie es für mich tun; Sie sind stärker als ich.«
    Dies freche Betonen seiner Überlegenheit ärgerte mich nicht wenig, und ich fuhr ihm sofort mit den Worten über den Mund: »So? Glaubst du? Wofür, du alter Schuft, meinst du eigentlich, habe ich dir mein Geld gegeben?«
    »Auch recht«, war seine kaltblütige Antwort. »Vielleicht nicht morgen, vielleicht auch nicht in den nächsten Tagen oder in Wochen, aber später ganz bestimmt werden Sie Krähen fangen – und Krähen essen – und Ihrem europäischen Gott danken, daß Sie Krähen zu fangen und Krähen zu essen haben werden!«
    Am liebsten hätte ich ihn wegen dieser Rede erdrosselt, aber in meiner Lage schien es mir vernünftiger zu sein, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Eine Stunde später aß ich denn auch richtig eine der Krähen und dankte meinem Gott, genau wie Gunga Daß gesagt hatte, daß ich eine zu essen hatte. Nie, solange ich lebe, werde ich dieses Abendessen vergessen! Die gesamte Einwohnerschaft hockte auf der Plattform aus hartem Sand gegenüber den Höhlen um kleine Feuer aus Binsen und Treibholz geschart. Der Tod, der einst Hand an diese Menschen gelegt, aber sie nicht hinweggerafft hatte, schien sie jetzt vergessen zu haben; der größte Teil dieser Elenden bestand aus alten Männern, gebeugt, abgemagert, zusammengeschrumpft unter der Last der Jahre; die Frauen schienen so alt zu sein wie die Nornen selber. So saßen sie beisammen, sprachen – Gott allein weiß, worüber sie wohl gesprochen haben mögen – sprachen in leisem, gleichmäßigem Ton, in auffallendem Kontrast zu dem überlautem Geschwätz, mit dem die indischen Eingeborenen die Zeit zu verscheußlichen pflegen. Bisweilen wurde ein Mann oder ein Weib plötzlich von derselben Art rasender Wut gepackt, die auch mich am Morgen überfallen hatte. Dann stürzten sich solche Unglückliche mit gellendem Geschrei und lauten Verwünschungen zu dem Sandhügel, wollten sich emporkrallen, rutschten zurück, immer wieder neue vergebliche Anstrengungen machend, um schließlich blutend und nicht mehr imstande, auch nur ein Glied zu rühren, auf die Plattform zurückzusinken. Die übrigen blickten nicht einmal auf, wenn dergleichen geschah, wie Menschen, die die Nutzlosigkeit solcher Versuche nur zu gut kennen und ihres Anblickes längst müde sind. Vier solcher Ausbrüche sah ich an jenem Abend!
    Gunga Daß schätzte meine Lage, während wir dinierten, vom rein geschäftsmännischen Standpunkt aus ein; – heute kann ich darüber

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