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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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Schweigen wurde mir allmählich so unerträglich, daß ich ihm befahl zu reden.
    »Sie werden hier leben, bis Sie sterben, wie – der andere Feringhi«, sagte er kühl und beobachtete mich dabei über den Knorpelrest, an dem er nagte, hinweg mit einem lauernden Blick.
    »Welchen andern Sahib meinst du, du Schwein? Rede! Und untersteh dich nicht, mich anzulügen.«
    »Da drüben liegt er«, antwortete Gunga Daß und deutete auf den Schlund einer Höhle, etwa die vierte links neben der meinigen. »Sie können ja selbst nachsehen. Er ist in dem Loch gestorben. So wie Sie sterben werden, wie ich, wie alle diese Männer, die Weiber und das Kind.«
    »Um Gottes Barmherzigkeit willen, erzähl mir alles, was du von ihm weißt! Wer war er? Wann ist er hierhergekommen und wann ist er gestorben?« schrie ich.
    Meine Bitte war ein Fehler; Gunga Daß grinste nur und erwiderte: »Ich will nicht – erst müssen Sie mir etwas dafür geben!«
    Das brachte mich zur Besinnung, wo ich war; ich versetzte ihm einen Hieb zwischen die Augen, der ihn fast betäubte. Er taumelte von der Plattform herunter und versuchte winselnd und schmeichelnd meine Füße zu umfassen, dann führte er mich zu der von ihm bezeichneten Höhle.
    »Ich weiß nicht das geringste über den Gentleman. Euer Gott ist mein Zeuge, daß ich nichts weiß. Er war ebenso bedacht, zu entkommen, wie Sie, und wurde dann vom Boot aus drüben erschossen. Wir haben alles getan, ihn von Fluchtversuchen abzuhalten. Hier hat ihn die Kugel getroffen.« Gunga Daß legte die Hand auf seinen eingefallenen Bauch; verbeugte sich.
    »Nun und weiter? Fahr fort!«
    »Nun, und dann – und dann, Euer Gnaden, haben wir ihn in sein Haus getragen, ihm Wasser gegeben und nasse Lappen auf seine Wunde gelegt, aber er hat sich ausgestreckt und hat den Geist aufgegeben.«
    »Wie lang hat das gedauert? Nun? Wie lang, will ich wissen!«
    »Etwa eine halbe Stunde, nachdem er verwundet worden war. Ich – ich rufe den Gott Vishnu als Zeugen an«, beteuerte der elende Mensch, »daß ich alles für ihn getan habe! Alles, was möglich war, hab ich für ihn getan.«
    Und Gunga Daß warf sich vor mir nieder und umfaßte meine Füße. Aber ich hatte meine Zweifel, was seine Güte betraf, und versetzte ihm einen Fußtritt – trotz seiner Beteuerungen.
    »Ich glaube eher, du hast ihn beraubt und ihm alles genommen, was er besaß. Aber ich werde das in wenigen Minuten herausgefunden haben. Wie lange war der Sahib hier?«
    »Ungefähr anderthalb Jahre. Ich glaube, er ist nach und nach wahnsinnig geworden. Aber hören Sie meinen Schwur, o Beschirmer der Unterdrückten! Niemals habe ich einen Gegenstand angerührt, der ihm gehört hat! Wollen Euer Gnaden doch anhören, wie ich es beschwöre! Was gedenken Euer Gnaden zu tun?«
    Ich hatte Gunga Daß am Genick gepackt und zu der unbewohnten Höhle auf die Plattform gezerrt. Ich malte mir aus, wie unaussprechlich mein Unglücksgefährte die achtzehn Monate hindurch gelitten haben mußte unter den Schrecknissen hier, um schließlich wie eine Ratte in der scheußlichen Höhle mit einer Schußwunde im Leib zu sterben. Gunga Daß fürchtete wahrscheinlich, ich wolle ihn töten, und heulte ganz erbärmlich. Die übrige Bewohnerschaft, vollgefressen mit Pferdefleisch, betrachtete uns, ohne ein Glied zu rühren.
    »Geh hinein, Gunga Daß«, befahl ich, »bring ihn heraus!«
    Ich fühlte, wie mich das Grausen packte, so daß ich fast ohnmächtig wurde. Gunga Daß rollte beinahe die Plattform hinab vor Schrecken und heulte laut auf:
    »Ich bin Brahmane, Sahib! — ein Brahmane, von hoher Kaste! Bei deiner Seele, Sahib, bei der Seele deines Vaters, Sahib, erlasse mir das!«
    »Brahmane oder nicht Brahmane, bei meiner Seele und der Seele meines Vaters – hinein gehst du!« und ich packte ihn bei der Schulter, zwängte seinen Kopf in den Schlund der Höhle und gab dem Rest des Kerls einen nachhelfenden Fußtritt; dann setzte ich mich hin und bedeckte mein Gesicht mit den Händen.
    Nach einigen Minuten vernahm ich ein Rasseln und Schlürfen und hörte, wie Gunga Daß in schluchzendem Gemurmel und mit keuchendem Atem mit sich selbst redete. Dann ein leises Aufschlagen und ich nahm die Hand von den Augen.
    Der trockene Sand hatte den Leichnam in eine gelbbraune Mumie verwandelt. Ich sagte Gunga Daß, er solle sich entfernen, und begann den Toten zu untersuchen.
    Der Körper war mit einem olivgrünen Jagdanzug bekleidet, der stark abgetragen und beschmutzt, an den Schultern mit

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