Dunkles Indien
so wenig Anregung? Es muß doch in der Welt weit mehr vorgehen!«
Das ist die dunkle Seite des Mondes; man muß es an sich selbst erfahren haben, um es voll würdigen zu können!
In jener Saison - und es war eine besonders üble Saison - gab das Blatt seinen Schlußwochenbericht in der Nacht vorn Samstag auf den Sonntag heraus, wie das auch in London zu geschehen pflegt. Das war sehr angenehm, denn das Blatt wurde fertiggestellt zu einer Zeit, wo das Thermometer während einer halben Stunde von 96 Grad auf 84 Grad fällt, was einem vorkommt wie Eiseskälte. Es war eine pechschwarze Samstagnacht, so erstickend heiß, wie eben nur eine Juninacht sein kann, und der loo, der glühende Westwind, heulte in den zundertrockenen Bäumen und log uns vor, ein Regen folge ihm auf dem Fuße.
Hie und da fiel auch wirklich ein Tropfen beinahe heißen Wassers auf den Staub herab, patschend wie ein Frosch, aber es war, wie wir wußten, nur die Vorspiegelung eines leeren Versprechens. Im Redaktionszimmer war es um einen Schatten kühler als im Empfangsraum, und deshalb hatte ich mich hineinbegeben und saß dort, während die Maschinen klapperten, der Nachtwind an den Fenstern rüttelte und die fast nackten Schriftsetzer sich den Schweiß von der Stirne wischten oder nach Trinkwasser schrien. Irgend etwas war schuld, daß wir nicht Schluß machten - ich weiß nicht mehr, was; der loo begann einzuschlafen, die letzte Type war gesetzt und die ganze Erde schien stillstehen zu wollen, den Finger auf der Lippe, als erwarte sie irgendein plötzliches Begebnis. Ich döste, in Gedanken, ob der Telegraph wirklich ein Segen sei und ob diesem oder jenem Sterbenden, oder diesem oder jenem kriegführenden Volk auch zum Bewußtsein käme, welche Unannehmlichkeiten sie einem bereiteten. Es lag kein Grund vor - außer der Hitze und meiner Müdigkeit - Pausen in der Arbeit eintreten zu lassen, aber erst, als die Hände der Uhr zum Schlage der dritten Stunde ausholten und die Druckmaschinen ihre Schwungräder ein paar Probedrehungen machen ließen, zum Beweis, daß alles in Ordnung sei, konnte ich mich aufraffen und das Zeichen geben: los!
Gleich darauf zerbiß das Brüllen und Rasseln der Räder die Stille in kleine Stücke. Ich erhob mich, um zu gehen, da standen plötzlich zwei Männer in weißen Anzügen vor mir. Der eine sagte: »Des is er!« Der zweite: »No, freilich.« Dann lachten sie beide fast so laut, wie die Maschine brüllte, und kratzten sich die Stirnen. »Mir hamm gsehn, daß a Licht über d'Straßen nüberscheint, wie mir so im Graben gschlafen haben wegen der Kühle, und da hab ich zu meinem Freund gsagt: die Zeitung is noch offen. Geh mer nei und sprechen mer mit ihm, der wo uns vom Degumberstaat gewarnt hat«, sagte der Kleinere der beiden Männer. Es war derselbe, den ich im Mhow-Zuge getroffen hatte, und sein Gefährte war der Rotbart aus Marwar. Die Augenbrauen des einen und der Bart des andern ließen mir keinen Zweifel.
Erfreut war ich nicht, denn ich gedachte, zu schlafen und nicht mit Vagabunden zu quasseln. »Was wollen Sie?« fragte ich, kurz angebunden.
»A halbe Stund mit Ihna reden drin in der Kühlen und in bequeme Sessel«, sagte der Rotbärtige. »Wir hätten gern was zum Trinken - brauchst net so schauen, Peachey: der Kontrack is noch net unterschrieben! Was mir nämlich von Ihnen brauchten, is ein Rat. Geld brauchen mir net. Wir erbitten uns ein Gespräch mit Ihnen, weil mir herausgefunden hamm, daß Sie uns einen schlechten Rat gegeben haben, was den Degumberstaat betrifft.«
Ich führte die beiden in das erstickend heiße Wartezimmer, in dem große Karten an den Wänden hingen, und bot ihnen Stühle an. Der Rotbärtige rieb sich die Hände; »das laß ich mir gefallen!« sagte er, behaglich gestimmt, »einen bessern Laden hätten mir gar net finden können. Aber jetzt, Herr, wollen mir uns vorstellen: Bruder Peachey Carnehan, das is der da, und Bruder Daniel Dravot, das bin ich; je weniger wir über unsern Beruf sprechen, um so besser is es. Früher sin mir Soldaten gewesen, Seeleute, Komponisten, Photographen, Korrekturenleser, Straßenprediger und, wenns grad nötig war: Korrespondenten der Hinterwäldlerzeitung. Der Carnehan is vollkommen nüchtern und ich ebenfalls. Wann Sies nicht glauben, bitte, schauen S' uns an! Sie müssens schon an meiner Sprache merken. Mir nehmen uns jetzt jeder eine von Ihre Zigarren; Sie sollen sehen, wie mir dabei aufleben!« Ich machte die Probe: tatsächlich, beide waren
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