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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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verwundert nach. - Der Plan ist tadellos ausgeheckt, sagte ich mir; ich konnte keinen Fehler entdecken. Die Szene im Serai war dem Verständnis und der Denkungsweise der Eingeborenen ausgezeichnet angepaßt gewesen. Carnehan und Dravot hatten wirklich alle Chancen, unbehelligt und unerkannt durch Afghanistan hindurchzuommen; darüber hinaus, freilich –, ich war überzeugt: sie würden einen sichern und schrecklichen Tod finden.
    Zehn Tage später berichtete mir ein eingeborener Korrespondent aus Peshawur: »Großes Gelächter erregt hier ein verrückter Priester, der die fixe Idee hat, Spielzeug und andern Plunder Seiner Königlichen Hoheit, dem Emir von Buchara, als Amulette zu verkaufen. Er kam durch Peshawur und schloß sich einer Sommerkarawane an, die nach Kabul geht. Die Kaufleute freuen sich darüber, denn sie meinen in ihrem Aberglauben, solche Wahnsinnige brächten Glück.«
    Waren die beiden also doch heil über die Grenze gekommen! Wer weiß, vielleicht hätte ich nachts für sie gebetet, aber da kam die Nachricht, ein König - ein wirklicher nämlich - sei in Europa gestorben, und das bannte mich an den Schreibtisch.
    Immer die gleichen Phasen durchläuft das Rad der Welt; der Sommer schwand, der Winter kam, schwand ebenfalls dahin. Die Zeitung lebte, und ich lebte mit ihr. Im Laufe des dritten Sommers senkte sich wieder einmal eine heiße Nacht hernieder, und abermals galt es, eine Abendausgabe des Blattes fertigzustellen; wiederum ein müdes Warten auf irgendein Telegramm von der andern Hälfte des Erdballes. Alles spielte sich ab genau wie damals: ein paar große Männer waren im Verlauf der letzten zwei Jahre gestorben, die Druckmaschinen ratterten, und man schwitzte. Nur die Bäume draußen waren ein paar Fuß höher geworden; das war der einzige Unterschied. Ich ging hinüber in die Druckerei; genau dasselbe Bild, wie einst! Die Nervenanspannung war noch größer als damals; ich fühlte die Hitze womöglich noch quälender als vor zwei Jahren. Um drei Uhr schrie ich: Fertig? Los! und wandte mich zum Gehen, da kroch an meinen Stuhl heran das Überbleibsel eines Menschen.
    Es war zusammengekrümmt wie ein Bogen, der Kopf lag zwischen den Schultern und seine Füße traten übereinander, wie die eines Bären; ich konnte kaum unterscheiden, ob er ging oder kroch - dieser in Lumpen gehüllte, winselnde Krüppel, der mich mit meinem Namen ansprach und mir vorgreinte, er sei - zurückgekommen. »Können Sie mir einen Schnaps geben?« wimmerte er, »um Gotteswillen, geben Sie mir was zu trinken!«
    Ich ging in die Kanzlei hinüber; der Mann folgte mir, stöhnend vor Schmerzen, und ich schraubte den Docht der Lampe hoch.
    »Kennen Sie mich nicht mehr?« keuchte er und ließ sich in einen Sessel fallen; dabei drehte er sein von einem wirren Schopf grauer Haare fast gänzlich bedecktes Gesicht in den Schein des Lichtes.
    Ich musterte ihn scharf. Einmal im Leben hatte ich bei jemand Augenbrauen gesehen, dicht über der Nase und fast einen Zoll breit, aber wann und wo konnte das gewesen sein?
    »Nein, ich kenne Sie nicht«, sagte ich und reichte ihm einen Whisky hin. »Was kann ich für Sie tun?«
    Er stürzte den Inhalt des Glases hinunter und - schauderte trotz der fürchterlichen Hitze im Zimmer.
    »Ich bin zurückgekommen«, wiederholte er; »und ich bin König von Kafiristan gewesen - ich und der Dravot; gekrönte Könige sin mir gewesen. Hier in dieser Stube haben mir's gedeichselt, und Sie sin hier gsessen und haben uns die Bücher gegeben. Ich bin der Peachey Taliaferro Carnehan, und - und Sie sin die ganze Zeit über hier gsessen - o Gott, barmherziger!«
    Ich war nicht wenig erstaunt und gab meinen Gefühlen in diesem Sinne Ausdruck.
    »Ja, wahr is«, sagte Carnehan und hustete trocken, seine in Lumpen gewickelten Füße streichelnd, »wahr wie's Evangelium. Könige sin mir gwesen und Kronen hamm wir auf die Köpf ghabt - ich und der Dravot, armer Dan - oh, armer, armer Dan; er hat keinen Rat annehmen wollen, sosehr ich ihn auch angefleht hab!«
    »Trinken Sie noch Whisky!« redete ich ihm zu, »und lassen Sie sich Zeit. Erzählen Sie mir alles, an das Sie sich erinnern können, in Ruhe von Anfang bis zu Ende, Sie sind damals über die Grenze hinüber mit den Kamelen; Dravot war als verrückter Priester verkleidet und Sie als sein Diener. Entsinnen Sie sich noch?«
    »Damals war ich nicht verrückt, aber – ich werds bald sein. Natürlich erinner ich mich. Schauen S' mich immer fest an, sonst verlier

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