Dunkles Indien
armen, alten Peachey, der ihnen doch nie kein Leid nicht zugefügt hat - nein, nein, nie–mals k-kein L-leid nicht ---.«
Er rückte hin und her auf seinem Sessel und weinte bitterlich, wischte sich mit seiner verkrüppelten Hand die Tränen aus den Augen und schluchzte wie ein Kind, wohl zehn Minuten lang. Dann fuhr er fort:
»Sie sin grausam genug gwesen, ihn wieder aufzupäppeln im Tempel, denn sie ham gsagt, er sei eher noch ein Gott als der alte Daniel, der bloß ein Mensch war. Dann ham sie ihn in den Schnee hinausgejagt und ham ihm gsagt, er soll heimgehn. Und er is heimgekommen, der Peachey, in einem Jahr. Er hat sich auf den Straßen durchgebettelt und nix is ihm gschehn, denn der Daniel Dravot is immer vor ihm hergeschritten und hat gesagt: ›Komm, Peachey‹, hat er gesagt, ›komm! Wir haben eine große Tat vollbracht! ‹ Die Berge ham über dem Peachey getanzt in der Nacht, aber wenn sie ham auf ihn fallen wollen, da hat der Dan die Hand über ihn gehalten und er is heil hinübergekommen. Niemals hat der Peachey die Hand von dem Dan losgelassen und hat auch seinen Kopf nicht hergegeben! Die Priester im Tempel ham dem Peachey den Kopf geschenkt zum Gedächtnis, daß er niemals nicht wiederkommen darf, und dazu die Krone aus lauterem Golde; und obgleich sie aus lauterem Golde war und der Peachey oft beinahe verhungert wäre, hat er sie dennoch nie nicht verkauft. Und nie würde sie der Peachey nicht verkaufen. Sie ham den Dravot gekannt, Herr! Den verehrungswürdigen Bruder Dravot! Wollen Sie ihn sehen?«
Carnehan wühlte in seinen Lumpen, zog einen schwarzen, silberdurchwirkten Roßhaarbeutel hervor und schüttete auf die Tischplatte: den verwitterten, vertrockneten Kopf Daniel Dravots! Die Strahlen der Morgensonne hatten längst das Licht der Lampen verdrängt, sie fielen jetzt auf den roten Bart und die eingesunkenen Augen des Schädels, fielen auf einen breiten goldenen Reifen, verziert mit Türkisen! Zärtlich drückte Carnehan die Krone über die eingefallenen Schläfen des Totenkopfs.
»Schauen Sie jetzt!« sagte er, »so hat er ausgesehen, der Kaiser, als er noch am Leben war - der König von Kafiristan mit der Krone auf dem Haupte. Armer, alter Daniel, ein Monarch bist du einst gewesen!«
Ich schauderte, denn trotz der furchtbaren Entstellung erkannte ich deutlich den Kopf des Mannes aus Marwar. Carnehan wollte aufbrechen. Ich versuchte ihn zurückzuhalten; er schien mir noch nicht fähig, gehen zu können. »Geben S' mir den Wisky mit und ein bissel Geld!« keuchte er. »Auch ich war einst ein König! Ich will zum Deputatskommissär gehen und ihn bitten, daß ich im Armenhaus unterkommen kann, bis ich wieder gesund bin. Nein, dankschön, ich kann nicht warten, bis Sie mir einen Wagen holen! Ich hab dringende Privatgeschäfte - im Süden - in Marwar.«
Und er tastete sich hinaus aus dem Office und schlich in der Richtung zum Deputatshaus fort. Am Nachmittag mußte ich über die glühheiße Promenade fahren, und da sah ich einen Krüppel durch den weißen Staub des Wegrandes kriechen, den Hut in der Hand; er summte kläglich vor sich hin, wie es die Straßenbettler in der Heimat zu tun pflegen. Weit und breit war keine Seele zu sehen und nirgends ein Haus in Hörweite! Dennoch sang er - durch die Nase und dabei den Kopf hin und herwiegend. Ich verstand:
»Des Menschen Sohn zieht in den Krieg,
Eine Krone aus Gold zu erringen;
Das blutrote Banner weht zum Sieg -
Kommt mit: es muß gelingen!«
Ich hörte das Lied nicht bis zu Ende an, lud das arme Geschöpf in meinen Wagen und fuhr mit ihm zum nächsten Missionshaus, damit man ihn von dort in ein Asyl schaffe. Er wiederholte die Strophe noch ein paarmal und schien nicht die leiseste Ahnung zu haben, wer ich war. Noch im Missionshaus sang er weiter.
Zwei Tage später erkundigte ich mich nach seinem Befinden im Spital bei dem Superintendenten.
»Als man ihn herschaffte, hatte er den Sonnenstich«, hieß es. »Gestern früh ist er gestorben«, sagte der Superintendent. »Ist es wahr, daß er eine halbe Stunde lang barhäuptig mittags umherging?«
»Ja«, sagte ich; »aber, bitte, hat man bei ihm nichts gefunden?«
»Nein«, sagte der Superintendent, »nicht daß ich wüßte.«
Damit endete die Geschichte.
»Köpfe«
Ein Verbrecher mehr im Zentral-Zuchthaus
Hinterm alten Wall von Lehm:
Ein Dieb weniger vorn, an der Front da drauß,
Und des Reichs Ruh über all dem,
> Ihr Jungs,
des Reichs Ruh über all dem!
Denn wir tragen ja
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