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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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bist ein wilder Elefant, schäm dich! Du bist überhaupt kein gebildetes Tier. Geh in dein Dschungel zurück!«
    Da kroch Chihuns kleines, braunes Baby aus der Hütte heraus und reckte die fetten Ärmchen nach dem ungeheuren Elefantenschatten vor der Türe. Moti Guj wußte ganz genau, daß es Chihun das Liebste auf der Welt war; deshalb machte er mit dem Rüssel einen einladenden Haken, und sofort stürzte sich das Kleine mit einem Jauchzen darauf. Moti Guj hob es sofort zwölf Fuß hoch in die Luft über den Kopf seines Vaters, wo es laut zu krähen begann.
    »Großer Häuptling!« schrie Chihun entsetzt, »die allerbesten Mehlkuchen, zwölf an der Zahl, und zwei Fuß breit und in Rum eingeweicht will ich dir auf der Stelle geben und zweihundert Pfund frischgeschnittenes Zuckerrohr dazu, nur geruhe in Gnaden, diesen wertlosen Knirps, der mein Herz und mein Leben ist, wieder sicher niederzusetzen!«
    Moti Guj senkte das braune Baby behutsam zwischen seine riesigen Vorderfüße hinab, mit denen er Chihuns ganze Hütte spielend in Brei hätte verwandeln können, und wartete auf das versprochene Futter. Fraß es. Das braune Baby krabbelte von hinnen. Dann überließ sich Moti Guj dem Schlummer und träumte von Deesa. Eins der vielen Rätsel, die den Elefanten umgeben, ist, daß sein ungeheurer Körper fast keines Schlafes bedarf. Vier oder fünf Stunden genügen - zwei vor Mitternacht liegt er auf der einen Seite und zwei nach ein Uhr auf der andern. Der Rest der stillen Stunden wird mit Fressen, mit Hin- und Hertreten von einem Fuß auf den andern und mit langen gebrummten Selbstgesprächen verbracht.
    Um Mitternacht nun schritt Moti Guj aus seinem Abteil heraus, denn es war ihm der Gedanke gekommen, Deesa könne möglicherweise irgendwo im dunkeln Walde herum liegen ohne Schutz und Bewachung. Deshalb jagte er die ganze Nacht schnaubend und trompetend und die Ohren schüttelnd durch das Unterholz. Ging hinunter an den Fluß und gab Trompetensignale über die Furt hinüber, wo ihn Deesa zu waschen pflegte; aber keine Antwort kam zurück. Er konnte Deesa nirgends erblicken, hingegen wachten alle Elefanten der Herde auf, und eine Zigeunerbande floh in wildem Entsetzen.
    In der Morgendämmerung erschien endlich Deesa auf der Plantage. Er war schwer bezecht und sah seiner Bestrafung mit Fassung entgegen; er wußte gar wohl, daß er seinen Urlaub überschritten hatte, und atmete befreit auf, als er sah, daß das Bungalow und die Pflanzung noch unbeschädigt dastanden, denn er hatte, im Hinblick auf Moti Gujs Temperament, bereits das Schlimmste befürchtet. Mit vielen Salaams und noch mehr Lügen meldete er sich. Moti Guj weste ab. Er hatte sich zum Frühstück begeben, Die nächtliche Forschungsreise hatte ihn hungrig gemacht.
    »Ruf dein Vieh her!« befahl der Pflanzer ärgerlich. Deesa schrie etwas in der geheimnisvollen Elefantensprache, die, wie viele Mahouts glauben, aus China herübergekommen ist, - bei Erschaffung der Welt - als noch Elefanten und nicht Menschen die Herren der Erde waren. Moti Guj horchte auf und kam sogleich. Elefanten laufen nie im Galopp; sie bewegen sich fort mit wechselnder Geschwindigkeit. Wenn ein Elefant einen Expreßzug einholen wollte, würde er auch nicht galoppieren, aber einholen würde er ihn bestimmt. So langte Moti Guj vor der Tür des Pflanzers an, ehe noch Chihun bemerkt hatte, daß er im Stalle fehlte. Er fiel Deesa um den Hals, trompetete entzückt und beide betasteten sich dann gegenseitig von Kopf bis zu Fuß, ob auch keiner von ihnen Schaden genommen hätte.
    »Jetzt wollen wir an die Arbeit gehen!« sagte Deesa. »Heb mich auf, mein Sohn und meine Freude!«
    Moti Guj schwang ihn auf seinen Nacken, und dahin ging's zu der Kaffeeplantage, die lästigen Stümpfe ausreißen.
    Dem Pflanzer aber verging der Zorn vor Staunen.

Klein-Tobrah
    »Der Kopf des kleinen Gefangenen reichte nicht einmal bis zur Anklagebank«, berichteten die Zeitungen; viel mehr stand nicht darin, denn wen hätte der Fall eingehend interessiert? Man kümmerte sich um Leben und Tod Klein-Tobrahs so wenig, wie um das Schicksal eines Strohhalms. Die Herren im Roten Hause saßen den ganzen, langen, heißen Nachmittag hindurch über ihn zu Gericht, und wenn sie eine Frage an ihn richteten, verbeugte er sich nur bis zur Erde und wimmerte. Das Urteil lautete auf Freispruch aus Mangel an Beweisen, und der Richter bestätigte es. Die Leiche der Schwester Klein-Tobrahs war allerdings auf dem Grunde des Brunnens gefunden

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